Der Sturm von Trump-Anhängern auf das Kapitol am vergangenen Mittwoch hatte mit dem Rücktritt von Bildungsministerin Betsy DeVos am darauf folgenden Tag keine unmittelbare bildungs- oder hochschulpolitische Auswirkung, weil ihre Amtszeit ohnehin mit der Vereidigung des neuen Präsidenten Joe Biden am 20. Januar geendet hätte. Jedoch bietet der Rücktritt von DeVos – mehr noch als die kurz vor Weihnachten geäußerte Absicht von Biden, mit Miguel Cardona den ehemaligen Bildungsminister von Connecticut als künftigen US-Secretary of Education zu nominieren – für die Fachmedien eine gute Gelegenheit, sich mit der Bilanz der scheidenden und entsprechend den Erwartungen an die kommende Regierung zu befassen.
Ein Beitrag auf Inside Higher Education zitiert aus dem zum Anlass ihres Rücktritts verfassten Schreiben der ehemaligen Bildungsministerin: „We should be highlighting and celebrating your administration‘s many accomplishments on behalf of the American people. Instead we are left to clean up the mess caused by violent protesters overrunning the U.S. Capitol in an attempt to undermine the people‘s business. That behavior was unconscionable for our country. There is no mistaking the impact your [Trump als Empfänger des Schreibens] rhetoric had on the situation, and it is the inflection point for me.”
Der Beitrag legt nahe, dass es neben den von DeVos im Schreiben aufgeführten Gründen für die ehemalige Ministerin auch einen praktischen Vorteil für den Rücktritt zu diesem Zeitpunkt gäbe, nämlich dadurch, nicht mehr in die Verlegenheit zu kommen, gemeinsam mit anderen Kabinettsmitgliedern und Vizepräsident Mike Pence den Präsidenten nach den Bestimmungen des 25th Amendments des Amtes entheben zu müssen, würde Pence diesen Weg beschreiten wollen.
Weniger spekulativ, weil auf einem Schreiben der Ministerin vom 5. Januar an die Fraktionsführer von Senat und Repräsentantenhaus und an die Vorsitzenden der Haushaltsausschüsse des Parlaments basierend, ist die Beschreibung eines letzten Versuchs von DeVos, auf bildungspolitische Weichenstellungen der kommenden Regierung Einfluss zu nehmen.
Dabei habe sie es laut Beitrag vor allem auf einen Bereich abgesehen, der in der Wahlplattform von Biden/Harris eine zentrale Rolle gespielt habe, nämlich die Behandlung des Problems von Studienschulden durch einen (teilweisen) Schuldenerlass. Dazu schreibt DeVos: „Across-the-board forgiveness of college debts is not only unfair to most Americans, it is also the most regressive of policy proposals – rewarding the wealthiest sector of our labor force at the expense of the poorest.“ Diesem Argument stellt der Beitrag die Faktenlage gegenüber, nämlich dass Biden/Harris auf der einen Seite den Besuch von Community und Black Colleges und Universities (HBCUs) für Kinder aus Haushalten mit Jahreseinkommen von unter $125.000 von Studiengebühren befreien wolle, dass man $10.000 Studienschulden wegen der Covid-Pandemie erlassen wolle und dass denjenigen, die weniger als $125.000 im Jahr verdienten, die durch Studiengebühren (ausdrücklich nicht Lebenshaltungskosten) akkumulierten Studienschulden erlassen werden sollten.
Ein weiterer, im Brief angesprochener Bereich beträfe die Regelungen für Hochschulen im Umgang mit Vorwürfen des Verstoßes gegen Title IX (u.a. sexueller Missbrauch, sexuelle Gewalt). Hierzu heißt es: „DeVos also urged Congress to preserve the new rules on campus sexual assaults her administration approved. Biden has said he plans to reverse the rules, which granted more protections to those accused of sexual assault and harassment but have raised concerns that they would deter victims from coming forward.”
Sie finden den Beitrag hier.
Über das Schreiben wurde zuerst von Associated Press berichtet. Sie finden diesen Beitrag hier.
Ein Beitrag im Chronicle of Higher Education bemerkt (etwas polemisch), dass DeVos am 6. Januar einen Grund gefunden habe, gegen Trump zu protestieren, wo sie doch als seine Ministerin in den vergangenen knapp vier Jahren bildungspolitisch weitestgehend auf einer Wellenlänge mit ihm gewesen sei. Nicht nur deshalb habe sie im bildungspolitischen Establishment des Landes eigentlich nie eine reelle Chance gehabt. Es heißt: „Betsy DeVos probably never had much of a chance with higher ed’s in-crowd. A billionaire philanthropist with no professional education experience, her passions resided outside the realms of colleges and universities. Her most cherished cause seemed to be school-choice programs, including those that allow taxpayer dollars to go toward private schools through tuition vouchers. Like many conservatives, she was skeptical of professors, whom she described as ‘ominously’ telling students what to think.”
Der Beitrag erinnert auch an die Skepsis ihr gegenüber bei den Senats-Anhörungen zu ihrer Bestätigung als Ministerin, die erst durch einen Eingriff des Vizepräsidenten in seiner Rolle als Mehrheitsbeschaffer bei unentschiedenen Abstimmungslagen gelungen sei. Nach ihrem Amtsantritt sei es dann auch nicht besser geworden: „What followed in the ensuing years, many higher-education officials say, was a series of missed opportunities and disputes. Colleges sparred with the Trump administration over immigration policy and received little guidance about how to safely reopen during the Covid-19 pandemic, leaving many officials to conclude that higher education simply wasn’t part of the agenda.” Das scheint dann auch die Bilanz ihrer Zeit als Ministerin zu prägen, dass nämlich Hochschul- und Bildungspolitik nicht zu den wichtigen Themen der Trump-Administration zählte und man sich ihr nur widmete, wenn man musste oder wenn man politische Punkte zu gewinnen hoffte.
Sie finden diesen Beitrag unter.
Für Patricia McGuire sind die Ereignisse des 6. Januar ein Fanal des Versagens von Hochschulen, den „alternativen Wirklichkeiten“ des noch amtierenden Präsidenten und damit der Erosion einer wesentlichen Grundlage der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entschieden entgegenzutreten. In einem Beitrag für den Chronicle of Higher Education schreibt die Präsidentin der Trinity Washington University: „Higher education should be the great counterweight to government, the reliable steward of truth and knowledge against the corrupting tendency of politics to manipulate facts and tell outright lies as a means to gain and secure public support. Truth was one of the earliest victims of the Trump administration, with the president racking up more than 20,000 documentable lies across four years.”
Sie finden diesen Beitrag unter.
Auch ein Beitrag auf Inside Higher Education sucht nach einer möglichen Mitschuld der Hochschullandschaft an den Ereignissen vom 6. Januar und fragt: „Do the presidents of universities that helped elevate Donald Trump to the White House have extra responsibility amid the chaos that unfolded at the end of his presidency?” Gemeint sind hier in erster Linie Führungskräfte von christlichen Hochschulen, allen voran Liberty University in Lynchburg, VA, deren Präsident, Jerry Prevo, sich bislang nicht zu den Vorgängen am 6. Januar geäußert habe. Es heißt weiter: „Liberty (...) gave Trump a prominent platform early in his 2016 presidential campaign, and he has appeared at the university multiple times, including speaking at its commencement in 2017.”
Sie finden diesen Beitrag hier.