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DAAD Nordamerika Nachrichten
19. Februar 2017

 Die Themen dieser Woche:
  Debatte um die Rolle von Hochschulen bei sozialer Mobilität
  Fernstudium vs. traditionelles Studium: ein Kostenvergleich
  Tenure is ending. Tenure should end. What’s next?
  Kurznachrichten
 
  Liebe Leserinnen und Leser,

in dieser Ausgabe befassen wir uns mit einer Debatte um die Rolle von Hochschulen bei sozialer Mobilität und mit einer Analyse der Kosten von Fernstudiengängen verglichen mit traditionellen, in „brick-and-mortar classrooms” durchgeführten Studienangeboten. Wir werfen zudem einen Blick auf einen Standpunkt, nach dem das Tenure-Modell an US-amerikanischen Hochschulen für die Erfüllung ihrer Aufgaben eher hinderlich geworden sei, und schließlich auf verschiedene Kurz-nachrichten der Woche.

Ich wünsche Ihnen wie immer eine interessante Lektüre.

Stefan Altevogt

Debatte um die Rolle von Hochschulen bei sozialer Mobilität

  Ein Beitrag greift auf Inside Higher Education das Thema auf, inwieweit Hochschulen soziale Mobilität fördern, also in einer meritokratischen Gesellschaft die verschiedenen Ausgangsbedingungen in Abhängigkeit von sozialer Herkunft ausgleichen, und verweist auf wissenschaftliche Untersuchungen mit deutlich verschiedenen Antworten. Da sei zum einen die soeben in Social Forces veröffentlichte Neubewertung von Daten aus der Baccalaureate & Beyond Longitudinal Study of 1993 durch Dirk Witteveen und Paul Attewell vom Graduate Center of the City University of New York. Hier sei das Ergebnis, dass Kinder aus einkommensschwachen Haushalten durch eine Hochschulbildung zwar sozial aufstiegen, dass aber der Einfluss der Hochschulen auf soziale Mobilität deutlich geringer sei, als man sich gemeinhin erhoffe. Gegen meritokratische Kräfte wirke etwa das, was man hierzulande „parental bridging” nenne, die Fähigkeit der Eltern in sozioökonomischen Höhenlagen, die eigenen Kinder zum einen in den besten Hochschulen unterzubringen, zum anderen, sie nach Abschluss auch auf die lukrativeren Jobs zu bekommen.

Sie finden den Abstract der Untersuchung hier.

Sie finden den Beitrag hier.

Die traditionelle Lehre, nach der sich Unterschiede in der sozialen Herkunft nach dem Bachelor-Degree kaum mehr in den dann erzielten Einkommen niederschlagen würden, sei zuletzt von einer Gruppe von Forschern des National Bureau of Economic Research (NBER) in einem Paper mit recht differenzierten Ergebnissen vertreten worden. Hier läge der große Vorteil (77%), aus den obersten 1% der Einkommensdistribution zu kommen, gegenüber Kindern aus den unteren 20% viel deutlicher beim Zugang zu einem College der Ivy League (also dem einen Teil des parental bridging) und sei in den Einkommen nach Abschluss kaum mehr messbar. In ihrer Funktion als Motoren sozialer Mobilität unterschieden sich einzelne Hochschulen untereinander allerdings stark. Es heißt: „Mid-tier public universities such as the City University of New York and California State colleges tend to have the highest rates of bottom-to-top quintile mobility. Elite private colleg-es, such as Ivy League universities, have the highest rates of upper-tail (e.g., bottom quintile to top 1%) mobility.” Das Problem heute sei eher, dass die Anfängerkohorten an Hochschulen mit dem größten Einfluss auf soziale Mobilität zwischen den 1980 und 1991 deutlich Kinder aus den ein-kommensschwächsten Schichten verloren hätten, sie also ihre potenziell weit überdurchschnittlich guten Leistungen im Hinblick auf soziale Mobilität gar nicht mehr so häufig erbringen könnten.

Sie finden diese Untersuchung hier.

Ein Beitrag auf Inside Higher Education zu dieser Untersuchung arbeitet die bemerkenswerten Un-terschiede zwischen einzelnen Hochschulen in ihrer Wirksamkeit als Motoren sozialer Mobilität heraus. So schafften 51% der Absolventen der State University of New York at Stony Brook, die aus den sozial schwächsten 20% gekommen waren, den Aufstieg in die obersten 20% der Einkom-mensverteilung, während der entsprechende Anteil an der California State University in Los Ange-les bei etwa 30% läge. Die Frage nach dem Warum sei dabei nicht so leicht zu beantworten: „The authors could not find a direct correlation with tuition costs, student-faculty ratios or emphasis on a certain field, such as STEM or business.” Aber immerhin lägen nun im Zuge dieser Unter-suchung entsprechende Mobilitäts-Zahlen zu einzelnen Hochschulen vor: „This is an opportunity for other researchers, policy makers and college administrators to see how certain colleges com-pare to others.”

Sie finden diesen Beitrag hier.

Fernstudium vs. traditionelles Studium: ein Kostenvergleich

  Inside Higher Education befasst sich mit einem im Auftrag der Western Interstate Commission for Higher Education (WICHE) durchgeführten Preis- und Kostenvergleich zwischen online durchgeführten Fernstudiengängen und solchen in traditionellen Vorlesungs- und Seminarräumen. Das Ergebnis widerspreche dabei den Erwartungen: „Most colleges charge students the same or more to study online. And when additional fees are included, more than half of distance education students pay more than do those in brick-and-mortar classrooms.” Die Höhe der Preise reflektiere dabei die Höhe der Kosten, zu denen die Bildungsangebote im Fernstudium produziert würden: „Producing an online course means licensing software, engaging instructional designers, training faculty members and offering around-the-clock student support, among other added costs, they point out in the report.”
Einer der Gründe für das überraschende Ergebnis könne durchaus sein, dass Hochschulen ihre Fernstudienangebote aus traditionellen Angeboten heraus entwickelten und dass derartige techni-sche Ergänzungen eher kostentreibende als kostendämpfende Auswirkungen hätten. Zudem seien Fernstudiengänge primär nicht mit dem Ziel eingeführt worden, die Kosten zu senken, vielmehr ginge es um eine geografische Ausweitung der Verfügbarkeit. In diesem Sinne heißt es auch in der Untersuchung: „Distance education should not be held accountable to a mission it was never giv-en.”

Sie finden die Untersuchung hier.

Sie finden den Beitrag hier.

Tenure is ending. Tenure should end. What’s next?

  John Warner schickt seinem jüngsten Beitrag auf Inside Higher Education die ihn nach eigenen Angaben selbst am meisten überraschenden Worte voraus: „Tenure has become a structural impediment to higher education institutions fulfilling their most important goals.” Die Argumentation erfolgt dabei durch eine Trennung des Prinzips Tenure von der mit Tenure ver-bundenen Politik. Als Prinzip sei die Entfristung von Professuren als notwendiger Schutz der Blü-te akademischer Freiheit gedacht, als Politik schütze sie mittlerweile vor allem eine Zweiklassen-gesellschaft der Lehrenden. Und das sei nicht einmal dem mangelnden Mitgefühl der Entfristeten mit den befristet Beschäftigten geschuldet: „No matter how sympathetic tenured faculty may be to contingent faculty, and no matter how diligently they work to improve the lot of contingent faculty, the mere fact of the divide stands in contrast to the principles of tenure: academic freedom and security.”
Damit beginne aber erst die Liste der Anklagepunkte gegen den verfahrenen Zustand. Weil nur ent-fristete bzw. auf Entfristung hin strebende Professoren forschten und der Anteil der tenured faculty zurückgehe, gehe auch die Forschung an Hochschulen zurück. Weil zudem Zeitverträge keine Per-spektiven böten, würden hervorragende Hochschullehrer ebenso den Hochschulen verloren gehen, wie die Studierendenbetreuung unter diesen Umständen Schaden nähme. Die Nachteile würden sich zudem in einer Rückkopplungsschleife immer weiter verstärken: „A fungible workforce inhib-its professional development, erodes institutional memory, and requires those with tenure to take on increasing burdens, which in turn compromises the quality of their instruction.”
Klar, auch Warner wolle nicht gleich das Kind mit dem Bade aussschütten, konkret also die beiden derzeit laufenden Initiativen der Abschaffung des Tenure-Modells (in Iowa und Wisconsin) und per Gesetz unterstützen, doch er mahnt eine Besinnung auf die eigentlichen Ziele und Werte von Hochschulen an, die mit dem Tenure-Modell nicht mehr ausreichend geschützt werden könnten: „Tenure is ending. Tenure should end. What’s next?”

Sie finden den Beitrag hier.

Der Beitrag blieb freilich nicht unkommentiert und ein interessanter Ausstausch entspann sich ent-lang eines Vergleichs zwischen Tenure-Modell und dem gewerkschaftlich kontrollierten Zugang zur Ausübung bestimmter Berufe in den USA. Der Vergleich wurde in einem Kommentar angestellt, der meinte, dass ein Tenure-Modell einer Gewerkschaftsmitgliedschaft gleichkäme und es stünde doch jedem frei, in die Gewerkschaft einzutreten. Man hat gelernt: Die beste Strategie gegen eine Politik ist die, sie mit den falschen Argumenten zu verteidigen. Dazu erläutert ein anderer Kom-mentator die in Deutschland sicherlich nicht so gekannte Abschirmfunktion für bestimmte Berufe, die Gewerkschaften hierzulande haben können: „Have you ever tried to get a union apprentice-ship? Or a union job? Unions actually support his [John Warners] point. You don’t just ‘join’ a union. I was a union member for years and I can assure you they are all about the few who are members, not the throngs trying to become members. At some level they do realize that if they get too small they will die out, but every short-term decision they make is about protecting the few, often at the expense of the many. Look at construction. As long as the unions can control the large-scale commercial projects, usually through political action with government authorities, they are more than happy to let the whole residential sector go.”

Sie finden die Leserzuschriften hier.

Kurznachrichten

  Auf der Streichliste im kommenden Haushalt des neuen US-Präsidenten stünden laut New York Times nicht nur das National Endowment for the Humanities (NEH) und das National Endowment for the Arts (NEA), sondern auch mit der Corporation for Public Broadcasting die Trägereinrichtung des öffentlichen Rundfunks in den USA und mit AmeriCorps ein Programm zur Studienfinanzierung. Verglichen mit dem Gesamthaushalt von etwa $4 Bio. seien die Einsparungen aller Streichposten mit zusammen $2,5 Mrd. eher zu vernachlässigen. Allerdings: „A few [der Einsparungen] are surprising, even though most if not all have been perennial targets for conservatives.”

Sie finden den Beitrag hier.

Inside Higher Education wirft in einem Beitrag einen Blick auf die Bedeutung von AmeriCorps und schreibt: „Since 1994, about 1 million people who were AmeriCorps participants have received ed-ucation grants that total more than $2.4 billion. The value of the grants is even larger at the many colleges and universities that match AmeriCorps education awards.”

Sie finden diesen Beitrag hier.

Der Chronicle of Higher Education befasst sich nach der Senatsbestätigung der neuen Bildungs-ministerin Betsy DeVos mit ihren Gestaltungsmöglichkeiten für die Hochschulen des Landes und versucht damit diejenigen etwas zu beruhigen, die vom Amtsantritt der sehr umstrittenen DeVos weitreichende und vorwiegend negative Auswirkungen auf den Bereich der Hochschulen befürch-ten. Präsident Trump, so die Argumentation, habe in seiner Wahlkampfplattform im Hinblick auf die Hochschulpolitik des Landes so gut wie kein Interesse gezeigt und Bildungsministerinnen und Bildungsminister würden die Plattform des Präsidenten umsetzen. „Even Sen. Lamar Alexander, who was president of the University of Tennessee when President George H.W. Bush tapped him to be secretary of education, is best remembered for his efforts to reform elementary and secondary schools.”

Sie finden diesen Beitrag hier.

Die New York Times befasst sich vor dem Hintergrund des derzeit den USA sehr erfolgreichen Spielfilms „Hidden Figures” mit der Bekämpfung des aus der gegenwärtigen Realität abgeleiteten Vorurteils, dass für Mathematik die einen Menschen (weiß oder asiatisch aber in jedem Fall männ-lich) sehr viel besser geschaffen seien als andere Menschen (zum Beispiel Frauen, Afro-Amerikaner oder Latinos). „Hidden Figures” zeigt die tragende Rolle von drei Afro-Amerikanerinnen als Mathematikerinnen beim für die USA erfolgreichen „Wettlauf zum Mond”. Der Beitrag porträtiert eine sehr erfolgreiche Initiative in New York, mathematische Talente in demogra-fischen Gruppen aufzuspüren, die in mathematisch-technischen Berufen bislang noch deutlich un-terrepräsentiert sind. Die Initiative geht dabei von der durchaus sinnvollen Hypothese einer von Geschlecht oder ethnischer Zugehörigkeit unabhängigen Verteilung von mathematischem Talent aus.

Sie finden diesen Beitrag hier.

Auf Inside Higher Education findet sich ein in vielen Aspekten sehr unterhaltsamer Brief eines fik-tiven „Committee to Make Us Special” an den ebenfalls fiktiven Provost des Old Oak College. Den satirischen Höhepunkt erreicht der Brief gegen Ende mit einer Darstellung des Handlungsfadens im Film „The Martian”. Den größten Widrigkeiten zum Trotz werde der versehentlich auf dem Mars zurückgelassene Astronaut Watney (Matt Damon) schließlich doch gerettet und zur Erde zurückge-bracht. Dort erfülle er sich dann seinen Lebenstraum und werde Professor. Es heißt dazu: „A plot twist less believable than the rescue, if you ask me.”

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