Innenraum Newsletter - Corona-Sonderausgabe II
Nummer 35 September 2020
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Wer jemals ein Aquarium hatte, weiß: Die Gesundheit der Fische hängt entscheidend von der Qualität des Wassers ab. Was leicht einzusehen, vielen Menschen aber nicht bewusst ist: Für Kinder in Schulen hat die umgebende Luft gerade in Zeiten einer Pandemie (Stichwort Aerosole) eine ähnlich große Bedeutung - schlechte Luft macht krank und knabbert zudem an der Leistungsfähigkeit.
Wir berichten vom neuen Positionspapier des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) zum Thema "Corona und Lüftung" sowie über das Simulationsprogramm CO2-SIM. Weiters über eine neue, offenbar von Donald Trump inspirierte famose Geschäftsidee aus Oberösterreich zur Bekämpfung der Pandemie: eine Direktbegasung von Kunden mit reizenden Desinfektionsmitteln ohne deren Wissen in Apotheken und Lebensmittelgeschäften.
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Positionspapier des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK)
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Lüftung von Schul- und Unterrichtsräumen – SARS-CoV-2
Es gilt derzeit als gesichertes Wissen, dass Aerosole, die besonders in schlecht belüfteten Innenräumen über Stunden quasi als Wolke bestehen bleiben können, als Virenträger fungieren können. Wahrscheinlich, wie Ischgl, Ansteckungen in Schlachthöfen und engen Quartieren zeigen, tragen Aerosole maßgeblich zum Infektionsgeschehen bei. Warum dies angesichts der bevorstehenden Schulöffnung nahezu vollständig ausgeblendet wird, erklärt sich durch die Versäumnisse der Vergangenheit, für die allerdings der regierende Wissenschaftsminister genauso wenig kann wie Eltern von Schülern für das freche Verhalten ihres Sprösslings in der Pubertät. Eine ausreichende Lüftung von Schulräumen, wie sie in Büros mittlerweile Standard ist, wurde jedenfalls in Schulen seit Jahren sträflich vernachlässigt.
Wer nun glaubt, man müsse nur ein bisschen mehr über Fenster lüften, erntet ein müdes Lächeln der Experten. Fensterlüftung alleine reicht für etwa 15 Minuten, dann müsste wieder gelüftet werden – vor allem im Winter und bei einer lauten Straße vor dem Klassenzimmer wäre dies auch keine wirklich gute Idee. Weitgehend unbekannt ist auch, dass die Fenster in zahlreichen Schulen versperrt sind oder gar nicht mehr geöffnet werden können. Man möchte ja nicht, dass sich die tobenden und balgenden Rotznasen aus dem Fenster stürzen oder mit dem Kopf gegen das geöffnete Fenster knallen. Beruhigend ist, dass es viele asymtomatische Verläufe bei Kindern gibt und sie daher vermutlich weniger Viren abgeben. Trotzdem erspart dies nicht infektionsmindernde Maßnahmen.
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Das neue Positionspapier des Arbeitskreises Innenraumluft zeigt Wege auf, wie die notwendige Lüftung in Schul- und Unterrichtsräumen gewährleistet werden kann und was zu tun ist, wenn Fensterlüftung nicht klappt.
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Folgende Themen werden behandelt:
- Aerogene Infektionswege in Innenräumen
- Lüftungstechnische Präventionsmaßnahmen in Schulgebäuden - die richtige Lüftung
- Was tun, wenn die Fenster nicht geöffnet werden dürfen
- Notwendigkeiten raumlufttechnischer Anlagen und Anforderungen an diese
- Raumluftreinigungsgeräte und Lüftungsampeln
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Auch die Innenraumluft-Hygienekommission des deutschen Umweltbundesamtes hat eine Stellungnahme zu Lüftung, Corona und Schulen herausgegeben.
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Unfreiwilliger Begasungs-versuch von Kunden in Linz mit "Hygienenebel"
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Nicht nur Donald Trump hat gute Ideen zur Virusbekämpfung. Ein findiges Unternehmen aus Oberösterreich, die Firma HBL Haidinger hat ein lukratives Betätigungsfeld entdeckt, das angeblich dazu beitragen soll, Viren zu bekämpfen: das Vernebeln von Desinfektionsmitteln in Innenräumen bei Anwesenheit von Menschen, die davon keine Ahnung haben wie zB. Kunden einer Apotheke.
Nun tauchen glaubhafte Berichte darüber auf, was Experten schon lange befürchten: Anwenderinnen berichten über Schleimhaut- und Bindehautreizungen sowie Kopfschmerzen nach Verneblung der Wasserstoffperoxid (H2O2) enthaltenden Chemikalie der Fa. CURA-Solution (siehe Bericht der Betroffenen unten).
Dies ist durchaus verständlich, denn die freigesetzten Mengen an H2O2 sind beträchtlich - man kommt bei schlecht belüfteten Räumen bis in den MAK-Werte-Bereich (Richtwerte für die allgemein e Bevölkerung liegen in der Regel um Größenordnungen darunter)!
Grundsätzlich erscheint es äußerst fragwürdig, Apotheken oder Lebensmittelgeschäfte mit Reizstoffen zu begasen, ohne die Kunden darüber zu informieren. Das von der Fa. HBL-Haidinger gelieferte "toxikologische Gutachten" ist jedenfalls nicht wirklich geeignet, Bedenken bezüglich negativer gesundheitlicher Wirkungen zu zerstreuen.
Zulassungen nach dem Biozidprodukte-Gesetz bzw. der entsprechenden EU-Verordnung wurden geschaffen, um zu verhindern, dass Anwender und Konsumenten gesundheitlich und wirtschaftlich geschädigt werden. Dabei wird die Wirksamkeit und die gesundheitliche Unbedenklichkeit der Zubereitungen genau überprüft.
Auf Grund einer Übergangsregelung können jedoch derzeit noch nicht zugelassene Biozidmischungen wie bspw. der "Hygienenebel" der Fa. CURA-Solution AIR L.O.G.® pro, vertrieben und angewendet durch Fa. HBL Haidinger, ungeprüft verkauft werden.
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Neben der Zulassung ist auch die Wirksamkeit gegen das Corona-Virus mehr als fraglich. Geeignete Belege für die Wirksamkeit dieser Art von "Luftdesinfektion" liegen bis dato nicht vor. Man findet auf der Website der fa. HBL Haidinger lediglich einen Wirksamkeitsnachweis für Oberflächen. Ein weiterer unklarer Punkt ist die Wirkung auf Materialien, Bleichmittel zerstören bekanntlich Kunststoffe.
Von unnötigen "Desinfektions"-Maßnahmen, wie Vernebeln von Wirkstoffen, wird auch von renommierten Hygienikern wie der österreichischen Gesellschaft für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin (ÖGHMP) oder dem Robert-Koch-Institut (RKI) abgeraten. Das RKI gibt auf seinen Seiten Hinweise zur Desinfektion gegen Sars-CoV-2, in denen es heißt: "Eine Sprühdesinfektion (…) ist wenig effektiv und auch aus Arbeitsschutzgründen bedenklich, da Desinfektionsmittel eingeatmet werden können. Auch Raumbegasungen zur Desinfektion sind hier grundsätzlich nicht erforderlich.“
Ein "Vernebeln" von Wirkstoffen in zur Virusinaktivierung geeigneter Konzentration wie bspw. H2O2 in öffentlich zugänglichen Bereichen ohne Zustimmung der Betroffenen könnte auch für die Anwender ein unangenehmes strafrechtliches Nachspiel haben.
Laut Angaben der Fa. HBL-Haidinger wurde bei den Betroffenen ein Gerät verwendt, das überdosiert war (man fragt sich, wie viele dieser Geräte noch im Einsatz sind - ein Rückruf fand nicht statt). Ist die Konzentration an H2O2 allerdings so niedrig, dass keine Bedenken gegen eine Ausbringung bestehen, ist eine Wirkung gegen Keime mehr als fraglich. So ein famoses Geschäftsmodell hat schon seine Tücken.........
Toxikologen und Fachärzte raten derzeit von Raumluftvernebelungen bei gleichzeitiger Anwesenheit von Personen dringend ab, bis die Unklarheiten in Bezug auf Wirkung und vor allem auf die berichteten gesundheitlichen Auswirkungen geklärt sind.
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Risikobewertung von Büro- und Veranstaltungsräumen - "virusfite" Innenräume
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Bei kulturellen Veranstaltungen, Kongressen, Schulungen sowie Aus- und Fortbildungen kann es erforderlich sein, das Risiko in Hinblick auf aerogene Virus-Infektionen durch Krankheitserreger abzuschätzen. In manchen Fällen benötigen Veranstalter auch eine Bewilligung der für den Veranstaltungsort örtlich zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde.
Auch im Büro - besonders bei Publikumsverkehr - stellt sich häufig die Frage, ob die Situation in Hinblick auf eine mögliche Virenübertragung über Aerosole akzeptabel ist.
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Durch Messungen und Berechnungen mit Hilfe der neuen Software VIR-SIM 1.0 wird festgestellt, ob ein akzeptables Risiko in Bezug auf eine aerogene Infektion vorliegt und ob hygienerelevante Parameter eingehalten werden. Eine detailliertere Betrachtung mit belastbareren Ergebnissen könnte mittels CFD/Computational Fluid Dynamics Verfahren ausgeführt werden. Anschließend wird ein Sachverständigengutachten erstellt.
Es kann im Falle von RLT-Anlagen auch geprüft werden, ob eine einwandfreie Funktion der Komponenten und die Vorgaben einschlägiger Richtlinien erfüllt sind und ob die tatsächlich geförderte Luftmenge, etwa das Zuluftvolumen, der hygienisch erforderlichen Luftmenge entspricht.
Die angebotene Dienstleistung ist eine Unterstützung für Unternehmen, Räume, so weit dies möglich ist, "virusfit" zu gestalten. Es taucht mitunter die Frage auf, welche Luftreiniger ggf. erforderlich sind - auch zu diesem Thema kann beraten werden.
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Referenzen (Auszug):
Risikobewertung Messe Wien/Salzburg: Aufnahmetest für Medizinerinnen und Mediziner
Safety Concept/Aerosole für Austrian World Summit/ Winterreitschule Wien
Unbedenklichkeitsnachweis Theater Lilarum, Wien 3
Risikobewertung Salzburg Arena
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Eine relativ neue Anlage in Chur/Schweiz eignet sich ausgezeichnet als Best-Practice-Beispiel für eine gelungene Lüftungslösung.
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Best-Practice-Beispiel für eine Schullüftung aus der Schweiz
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Seit Jahren werden Schulen erfolgreich mit Lüftungsanlagen ausgestattet, die Vorteile wie Leistungsgewinne oder Verringerung einer Virusübertragung sind hinlänglich bekannt. Voraussetzung für die Akzeptanz von Anlagen sind jedoch hochwertige Komponenten, eine gelungene Vermittlung der Technologie an die Anwender sowie ein laufender Betrieb mit Haus- und Fachverstand.
Dennoch gibt es noch immer Bedenken über die Art der Ausführung von Schullüftung. Es ist dabei nicht sehr schlau, das Rad immer wieder neu zu erfinden, besser wäre es, auf bewährte Lösungen von seit Jahrzehnten auf diesem Gebiet tätigen Firmen zurückzugreifen. Wir können uns Schulen ohne Lüftungsanlage schlichtweg nicht mehr leisten.
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CO2-SIM 4.1- Simulationsprogramm für Schulen und andere Innenräume
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Wie seit Zeiten Max von Pettenkofers bekannt, eignet sich die Konzentration an CO2 dazu, die Raumluftqualität in Hinblick auf menschliche Emissionen abzuschätzen - sie liefert auch einen Hinweis darauf, ob ein Raum gut gelüftet wird.
In Schulräumen kann die CO2-Konzentration auch in Coronazeiten hilfreich sein - viel CO2 bedeutet ein erhöhtes Risiko in Hinblick auf SARS-CoV-2. Aber Achtung: Die CO2-Konzentration alleine kann bei kleinen und sehr großen Räumen (zB. Messehallen) zu einer massiven Unter- bzw. Überschätzung des Risikos führen - in diesem Fall muss eine Berechnung mittels VIR-SIM 1.1 erfolgen.
Das neu gestaltete, nun über den ganzen Zeitraum von 24 h in jeweils 5-Minutenschritten programmierbare Excel-Programm dient zur Simulation von zu erwartenden CO2-Konzentrationen in Innenräumen - bspw. Unterrichts- und Vortragsräumen. Für die Eingabe von nicht vollständig bekannten Daten (z.B. Dichtheit der Fenster, Aktivität der Raumnutzer) werden Vorschläge gemacht. Lüftungsepisoden können individuell eingegeben werden.
Im Praxistest hat sich das Modell als gut geeignet erwiesen. Die Simulations-Ergebnisse sind jedoch als Schätzwerte zu betrachten - die realen Werte können von den Berechneten im Einzelfall stark abweichen.
Das Programm eignet sich ausgezeichnet für die Erstellung von Lüftungskonzepten, bspw. für die Entscheidung, ob und welche Lüftungsmaßnahmen in bestimmten Räumlichkeiten (Schulklassen, Büros, Schlafräume....) erforderlich sind. Im Neubau kann CO2-SIM bei der Entscheidung helfen, ob mechanische Lüftungsanlagen erforderlich sind oder ob reine Fensterlüftung zum Erreichen einer hochwertigen Raumluftqualität ausreicht.
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