Liebe Leser:innen,

um Hintergründe zu beleuchten, die in der Kürze eines Artikels oft nicht darstellbar sind, lassen wir Ihnen gelegentlich „Washington News: Im Blickpunkt“ zukommen. „Im Blickpunkt“ erläutert detaillierte Gesetzespakete, Initiativen, Trends oder Entwicklungen aus dem politischen Washington.

In den vergangenen zwei Jahren hat die Administration unter Präsident Biden eine Handelspolitik verfolgt, die sich auf Rahmenvereinbarungen und Dialoge konzentriert. Diese Strategie unterscheidet sich in Struktur, Schlüsselakteuren und Inhalt von traditionellen Freihandelsabkommen (FTA). Dieser Blickpunkt bietet eine Übersicht zur allgemeinen Gestaltung der U.S. Handelspolitik sowie den derzeitigen Rahmenabkommen und sektoralen Vereinbarungen.

Wie immer freuen wir uns über Ihr Feedback und Ihre Anregungen.

Beste Grüße

Ihr Washington News Team

Die Handelspolitik der USA unter der Biden Administration 
Stephanie Harwood, RGIT
August 2023
Wie wird die Handelspolitik der USA gestaltet? 
Die US-Verfassung verleiht sowohl der Legislativen als auch der Exekutiven Befugnisse über bestimmte Aspekte der Handelspolitik. Artikel 1, Abschnitt 8 der Verfassung gibt dem Kongress die Hauptbefugnis über die Handelspolitik mit dem Mandat, Zölle zu erheben und den Außenhandel gesetzlich zu regulieren.
Der Kongress erlässt Gesetze zur Genehmigung von Handelsprogrammen und Maßnahmen gegen unfaire Handelspraktiken. Außerdem obliegt dem Kongress die Aufsicht wie handelspolitische Maßnahmen, Programme und Abkommen umgesetzt werden – hierunter fallen Bereiche wie Zölle, Handelshemmnisse, handelspolitische Abhilfemaßnahmen, Import- und Exportpolitik, Wirtschaftssanktionen und handelspolitische Funktionen der Bundesregierung. Das House Ways and Means Committee und der Finanzausschuss des Senats sind in erster Linie für Handelsfragen zuständig, aber auch andere Ausschüsse (z.B. die außenpolitischen Ausschüsse und Auschüsse für mittelständische Unternehmen und Unternehmertum) spielen eine Rolle, wenn Handelsfragen in ihre Zuständigkeit fallen. 

Die Rolle der Exekutiven im Handel ergibt sich aus Artikel 2, Abschnitt 2 der Verfassung, der dem US-Präsidenten die Verantwortung für die Außenbeziehungen der Vereinigten Staaten und die Verhandlung von Abkommen mit anderen Nationen überträgt. Das Büro der US-Handelsbeauftragten (U.S. Trade Representative, USTR) und andere Behörden der Exekutiven nehmen im Rahmen verschiedener Befugnisse Handelsaufgaben wahr. USTR ist für die Entwicklung und Koordinierung der internationalen Handels-, Rohstoff- und Direktinvestitionspolitik der USA zuständig und führt Verhandlungen mit anderen Ländern. USTR arbeitet in der Handelspolitik mit dem Kongress zusammen, indem sich die Behörde mit den Finanzausschüssen des Repräsentantenhauses und des Senats berät und Briefings für andere Ausschüsse und Büros des Kongresses bereitstellt.

Im Laufe der Jahre hat der Kongress eine Reihe von Handelsgesetzen verabschiedet, die den Präsidenten ermächtigen, Maßnahmen für die nationale Sicherheit (Section 232, Trade Expansion Act of 1962), zur Bekämpfung von Dumping- und Subventionspraktiken anderer Länder (Section 301, Trade Act of 1974) und Schutzmaßnahmen (Section 201, Trade Act of 1974) zu ergreifen.  

In der Vergangenheit hat der Kongress dem Präsidenten außerdem durch die Trade Promotion Authority (TPA) begrenzte Befugnisse zur Senkung von Zöllen übertragen. Durch TPA definiert der Kongress die Verhandlungsziele der USA und legt ein detailliertes Überwachungs- und Konsultationsverfahren für die Handelsverhandlungen fest. Im Rahmen der TPA prüft und entscheidet der Kongress, ob ein vorgeschlagenes US-Handelsabkommen umgesetzt wird, indem er mit einfacher Mehrheit und ohne Änderungsanträge dafür oder dagegen stimmt. Das letzte TPA-Gesetz war von 2015 bis Juli 2021 gültig. 

Dass derzeit keine TPA vorliegt und der neue Ansatz der Biden Administration, keine klassischen Freihandelsabkommen abzuschließen, stellen die Rolle des Kongresses bei neuen Handelsinitiativen in Frage. Handelsabkommen, die nicht vom Kongress genehmigt werden, sind in ihrem Geltungsbereich begrenzt. Dies spiegelt sich in einer Reihe der Rahmenabkommen wider, die derzeit von der Administration ausgehandelt werden. Gesetzgeber kritisieren, dass sie weder den Marktzugang (durch Zollverhandlungen) noch die Durchsetzbarkeit gewährleisten – zwei Merkmale der Handelspolitik, für die der Kongress nach eigener Aussage zuständig sei. 

Eine Erneuerung der TPA wurde bislang noch nicht von der Administration beantragt und auch im Kongress scheint die Stimmung hierfür ambivalent zu sein. Zwar wurde im 117. Kongress eine Gesetzesvorlage zur Erneuerung des TPA eingebracht, allerdings zögern die Gesetzgeber jetzt im 118. Kongress, die Verhandlungsmacht in der Handelspolitik tatsächlich an die Exekutive abzutreten.
Was sind die handelspolitischen Prioritäten der Biden Regierung? 
Im März dieses Jahres veröffentlichte das USTR-Büro den Bericht President Biden's 2023 Trade Policy Agenda and 2022 Annual Report to Congress. Hierin definiert die Regierung eine Handelsagenda, in deren Mittelpunkt die Arbeitnehmer, die Dekarbonisierung, die Stärkung der Beziehungen zu Partnern und Verbündeten, die Stärkung wichtiger Lieferketten und die Verteidigung demokratischer Werte stehen. Zu den im Jahr 2022 hervorgehobenen Erfolgen gehören das Indo-Pacific Economic Framework for Prosperity (IPEF) und die Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftskooperation (APEC). Handelsinitiativen mit Taiwan und Kenia sowie eine Vertiefung der Beziehungen und der Zusammenarbeit mit der EU, unter anderem durch den Trade and Technology Council (TTC) werden ebenso als Fortschritte betrachtet.

Sprecher der Regierung betonen innerhalb der neuen Handelsstrategie den arbeitnehmerzentrierten Ansatz, der Arbeitnehmern und Gemeinden in der gesamten westlichen Hemisphäre durch weltweiten Handel wirtschaftliche Chancen bieten soll. In einer Rede im April dieses Jahres erläuterte der nationale Sicherheitsberater im Weißen Haus Jake Sullivan den Ansatz der Administration für die internationale Wirtschaft: die westlichen Regierungen müssen eine Schlüsselrolle in der Industriewirtschaft spielen, bessere Arbeitsplätze schaffen und die Abhängigkeit von China verringern. Die Rede war eine klare Abweichung von der historischen Handelsagenda, die sich auf niedrigere Zölle, weniger staatlichen Einfluss und Handelsliberalisierung konzentrierte. Laut Sullivan führte die „übermäßig vereinfachte Markteffizienz“ zur Verlagerung von Lieferketten und Herstellung strategischer Güter ins Ausland. Anstelle einer Handelsstrategie, die sich auf Freihandelsabkommen konzentriert, strebe die Regierung mit Initiativen wie dem Inflation Reduction Act und dem CHIPS for America Act eine neue inländische Industriestrategie an. Diese Gesetze bieten erhebliche Anreize für die heimische Fertigung, können moderne Arbeitsplätze in der US-Industrie schaffen und die Abhängigkeit von China im Technologiebereich verringern.

Die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai hat Sullivans Argumente bekräftigt. Die Anfälligkeit der heutigen Lieferketten sei das Ergebnis früherer Handelsabkommen, die die Interessen großer Unternehmen und das Streben nach niedrigen Kosten für die Verbraucher priorisiert hätten. Sie betonte, Foren wie IPEF, Americas Partnership for Economic Prosperity (APEP) und die Verhandlungen über kritische Mineralien seien die wirksamsten Methoden, um die Abhängigkeit von China zu verringern.

Historisch gesehen seien die Handelsregeln darauf ausgelegt gewesen, so viel wie möglich zu liberalisieren. Laut Botschafterin Tai habe das Fehlen von Richtlinien zu einem Wettlauf nach unten geführt, „bei dem Ausbeutung belohnt und hohe Standards aufgegeben wurden.“ Maßnahmen wie das Global Arrangement on Sustainable Steel and Aluminum sollen hier Abhilfe schaffen und den nicht-marktwirtschaftlichen Praktiken Chinas entgegenwirken. Der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater Mike Pyle wiederholte die Ansicht, dass Zölle nicht das Kernstück der Handelspolitik dieser Regierung sind. Er wies darauf hin, dass der durchschnittliche Zollsatz der USA nur 2,4 Prozent betrage. Außerdem sei der Handel zwischen den USA und ihren wichtigsten Verbündeten organisch gewachsen und habe sich mit Partnern wie Südostasien in den vergangenen Jahren sogar verdoppelt. 
Freihandelsabkommen
Aktuell unterhalten die USA Freihandelsabkommen (FTA) mit 20 Ländern: Australien, Bahrain, Kanada, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Dominikanische Republik, El Salvador, Guatemala, Honduras, Israel, Jordanien, Mexiko, Marokko, Nicaragua, Oman, Panama, Peru, Singapur und Südkorea. Das neueste von den USA abgeschlossene Freihandelsabkommen ist das USMCA zwischen den USA, Mexiko und Kanada. Es trat am 1. Juli 2020 als Nachfolge des North American Free Trade Agreement (NAFTA) in Kraft. Die gesetzlich verankerten Streitbeilegungsmechanismen, die auch bei zwischenstaatlichen Streitigkeiten greifen und der Rapid Response Mechanism (RRM) des Arbeitskapitels, gehören zu den wichtigsten Merkmalen des Abkommens.

Die drei größten Streitfälle betreffen derzeit die mexikanische Energiepolitik, Mexikos Umgang mit gentechnisch verändertem Mais und die US-Methode zur Berechnung der Ursprungsregeln für Fahrzeuge. Viele sehen im USMCA ein Modell für zukünftige Freihandelsabkommen (FTAs) in Bezug auf Marktzugang, Arbeitsstandards, Durchsetzungsmechanismen und parteiübergreifende Unterstützung. Kongressabgeordnete die die aktuelle US-Handelsagenda der Administration kritisieren, nennen USMCA oft als Beispiel eines für die USA erstrebenswertes Freihandelsabkommen. Allerdings ist in Betracht zu ziehen, dass USMCA als NAFTA-Nachfolge nicht von Grund auf neu ausgehandelt wurde. Das USMCA muss alle sechs Jahre erneuert werden und würde nach 16 Jahren verfallen, sollte es während der sechsjährigen Überprüfungen nicht um weitere 16 Jahre verlängert werden. Derzeit beabsichtigen die drei beteiligten Länder eine Überprüfung ab Juli 2026 mit anschließender Verlängerung.
Angestrebte Rahmenabkommen der Biden Administration
U.S.-EU Trade and Technology Council (TTC)
US-Präsident Biden und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigten die Gründung des Trade and Technology Council (TTC) im Juni 2021 an. Ziel des TTC ist es, die Wettbewerbsfähigkeit der USA und der EU, den Wohlstand und marktorientierte Werte zu fördern. Es gibt 10 TTC-Arbeitsgruppen, die von US-Behörden und Dienststellen der Europäischen Kommission geleitet werden. Die Arbeitsgruppen konzentrieren sich auf 

  1. technische Standards, 
  2. Klima und grüne Technologien, 
  3. sichere Lieferketten, 
  4. Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit von Informations- und Kommunikationstechnologien und Dienstleistungen, 
  5. Datenmanagement und Regulierung von Technologieplattformen, 
  6. Missbrauch von Technologien, der die Sicherheit und die Menschenrechte bedroht, 
  7. Exportkontrollen, 
  8. Investitionsschutz, 
  9. Förderung des Zugangs von KMU zu digitalen Technologien und deren Nutzung sowie 
  10. globale Handelsherausforderungen.

Bislang fanden im Rahmen des TTC vier Ministertreffen sowie eine Reihe von Sitzungen mit Interessenvertretern statt. 

Indo-Pacific Economic Framework for Prosperity (IPEF)
Im Mai 2022 gründeten die Vereinigten Staaten das Indo-Pacific Economic Framework for Prosperity (IPEF) mit Australien, Brunei Darussalam, Fidschi, Indien, Indonesien, Japan, Süd-Korea, Malaysia, Neuseeland, den Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam. Die Verhandlungen konzentrieren sich auf vier Säulen: (1) Handel, (2) Lieferketten, (3) saubere Energie, Dekarbonisierung und Infrastruktur und (4) Steuern und Korruptionsbekämpfung. IPEF-Mitgliedsstaaten können wählen, welchen Säulen sie beitreten wollen. 

Die Partnerländer haben die Verhandlungen über das IPEF-Lieferkettenabkommen im Mai 2023 abgeschlossen. Das Abkommen zielt darauf ab, durch gemeinsame Aktivitäten und Einzelmaßnahmen der IPEF-Partner die Widerstandsfähigkeit, Effizienz, Nachhaltigkeit, Transparenz und Diversifizierung der Lieferketten zu verbessern. Die nationalen Konsultationen und rechtlichen Überprüfungen des endgültigen Textes des IPEF-Lieferkettenabkommens finden aktuell statt. Zum Zeitpunkt der 4. Verhandlungsrunde vom 9.-15. Juli wurde der Text des Abkommens noch nicht veröffentlicht.

Auf dem kommenden Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftskooperation (APEC) im November, sollen Vereinbarungen zu den Säulen I (Handel), III (Umweltschutz und Wirtschaft) und IV (Transparenz und Wirtschaft) abgeschlossen werden. Dieser Gipfel gilt weithin als inoffizieller Endtermin für die IPEF-Gespräche.

Americas Partnership for Economic Prosperity (APEP)
Die Partnerschaft Americas Partnership for Economic Prosperity (APEP) zielt darauf ab, die regionale Wettbewerbsfähigkeit, die Widerstandsfähigkeit, den gemeinsamen Wohlstand sowie integrative und nachhaltige Investitionen zu fördern. Sie wurde im Juni 2022 angekündigt und umfasst Barbados, Kanada, Chile, Kolumbien, Costa Rica, die Dominikanische Republik, Ecuador, Mexiko, Panama, Peru und Uruguay. Die Vereinigten Staaten unterhalten mit fast allen der genannten Länder bereits Freihandelsabkommen: Kanada und Mexico (USMCA), Chile, Kolumbien, Costa Rica, die Dominikanische Republik, Panama und Peru. Mit Ecuador unterhalten die USA einen Handels- und Investitionsrat (Trade and Investment Council) und mit Uruguay ein Handels- und Investitionsrahmenabkommen (Trade and Investment Framework Agreement). Barbados ist das einzige Land mit dem die Vereinigten Staaten keine Handelsverhandlungen führen.  

U.S.-Taiwan-Initiative zum Handel des 21. Jahrhunderts
Die Vereinigten Staaten und Taiwan haben im Juni 2022 Konsultationen zur US-Taiwan-Initiative aufgenommen und ein Jahr später die erste Verhandlungsphase abgeschlossen. Vertreter des American Institute in Taiwan und des Taipei Economic and Cultural Representative Office in den Vereinigten Staaten unterzeichneten das Abkommen. Das Abkommen enthält Maßnahmen zur Erleichterung des Handels, wie beispielsweise bei der Zollverwaltung (elektronische Formulare und Zahlungen), die Vereinfachung inländischer Vorschriften sowie der Umsetzung guter regulatorischer und korruptionsbekämpfender Praktiken. Die USA und Taiwan beabsichtigen, die Gespräche über Arbeit, digitalen Handel, Umwelt, Normen und nichtmarktbezogene Maßnahmen fortzusetzen. 

Da sich der Kongress bei der Handelsagenda der Regierung weiterhin übergangen fühlte, bekräftigte er seine Autorität in Handelsfragen, indem er einen Gesetzentwurf zur Kodifizierung des Handelspakts der Regierung mit Taiwan verabschiedete. Der Gesetzentwurf wurde im Juni vom Repräsentantenhaus und im Juli vom Senat verabschiedet. Präsident Biden unterzeichnete das Gesetz am 7. August 2023. Allerdings vermerkte er, dass Abschnitt 7 des Gesetzes Anforderungen für die Aushandlung bestimmter weiterer Handelsabkommen mit Taiwan enthält, die verfassungsrechtliche Bedenken aufwerfen. Das Gesetz verpflichtet USTR den Kongressausschüssen Verhandlungstexte zur Verfügung zu stellen und Abschnitt 7(c) des Gesetzes würde USTR daran hindern, von den Vereinigten Staaten vorgeschlagene Texte an Taiwan zu übermitteln, während der Kongress sie prüft. Abschnitt 7(c) des Gesetzes würde darüber hinaus, unter Verstoß gegen INS v. Chadha, zwei Mitgliedern des Kongresses die Befugnis geben, die erforderliche Wartezeit zu verlängern, bevor USTR Texte an Taiwan übermitteln darf. Präsident Biden hat angekündigt, diese Anforderungen zu ignorieren, wenn sie gegen die verfassungsmäßige Befugnis des Präsidenten verstießen, mit einem ausländischen Partner zu verhandeln. 
Sektorspezifische Abkommen
Global Arrangement on Sustainable Steel and Aluminum
Im Oktober 2021 einigten sich die USA und die EU auf eine vorübergehende Aussetzung der 2018 vom ehemaligen US-Präsidenten Trump verhängten Section-232-Zölle auf Stahl und Aluminium sowie der Vergeltungszölle der EU. Die US-Zölle wurden durch ein Zollkontingent (TRQ) ersetzt, in dessen Rahmen Stahl- und Aluminiumprodukte aus der EU in festgelegten Mengen zollfrei auf den US-Markt gelangen. Für Importe aus der EU, die über diese Quoten hinaus gehen, werden weiterhin Zölle in Höhe von 25 Prozent auf Stahl und zehn Prozent auf Aluminium erhoben. Derzeit verhandeln die USA und die EU über ein Global Arrangement on Sustainable Steel and Aluminum, um globale Klimaziele zu erreichen sowie für die weltweiten Überkapazitäten eine dauerhafte Lösung zu finden.

Der US-Vorschlag sieht die Einführung von Zöllen vor, die je nach Kohlenstoffintensität des Herstellungsprozesses progressiv ansteigen würden. Die EU hat diesen Vorschlag mit der Begründung abgelehnt, dass die Zollstruktur einen potenziellen Verstoß gegen die WTO darstellt, da sie inländische Stahlproduzenten gegenüber ausländischen bevorzugt. Brüssel bevorzugt einen Ansatz auf der Grundlage des Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM), der Importe von Industrieprodukten auf der Grundlage ihres Kohlenstoffgehalts besteuert und Anfang 2026 vollständig in Kraft tritt. In den Gesprächen mit den USA hat die EU vorgeschlagen, CBAM mit traditionellen handelspolitischen Schutzinstrumenten zu kombinieren, um die Grundlage für ein Abkommen zu schaffen. In allen Verhandlungsrunden haben beide Seiten bekräftigt, dass sie bis Ende Oktober dieses Jahres eine Einigung erzielen wollen. Regelmäßige Treffen zu diesen Verhandlungen finden zwischen der US-Handelsbeauftragten Katherine Tai, und dem Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Valdis Dombrovskis, statt. Die Ergebnisse des letzten Treffens am 20. Juli wurden nicht bekannt gegeben. Botschafterin Tai betonte, dass nach zwei Jahren Verhandlung ein Abkommen auf „hohem Niveau” erzielt werden müsse.

Abkommen über kritische Mineralien
Im März 2023 erklärten Präsident Biden und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dass die USA und die EU-Verhandlungen zu einem Abkommen über kritische Mineralien beginnen würden. Dies folgte dem Abkommen über kritische Mineralien zwischen den USA und Japan, das vom US-Finanzministerium als Freihandelsabkommen bezeichnet wird. Damit können in Nordamerika endmontierte E-Fahrzeuge mit Batterien aus Japan von der Hälfte der Steuergutschrift aus dem Inflation Reduction Act (IRA) profitieren.

Am 20. Juni 2023 erteilten die EU-Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission die Erlaubnis, die Verhandlungen über ein Abkommen mit den USA voranzutreiben. Dieser Schritt war erforderlich, da die USA beabsichtigen, Arbeits- und Umweltbestimmungen in ein mögliches Abkommen aufzunehmen. Sollte die Vereinbarung zustandekommen, würden europäische Bergbau- und Chemieunternehmen ihre Produkte an US-Batteriehersteller verkaufen können, ohne Gefahr zu laufen, die Vorteile des IRA zu verlieren. Die EU kritisiert weiterhin die IRA-Steuergutschriften sowie die lokalen Produktions-, Inhalts- oder Beschäftigungsanforderungen.

Transatlantic Initiative for Sustainable Trade (TIST) 
Die USA und die EU haben auf der dritten TTC-Ministertagung im Dezember 2022 die Transatlantic Initiative for Sustainable Trade (TIST) ins Leben gerufen. Ziel der TIST ist, den transatlantischen Handel und die Investitionen in Waren und Dienstleistungen anzukurbeln, um die grüne Transformation gemeinsam voranzubringen. Die Initiative wird sich auf die Zusammenarbeit in vier Bereichen konzentrieren: i) ein nachhaltiges Geschäftsumfeld für einen integrierten transatlantischen Markt; ii) widerstandsfähige und nachhaltige Lieferketten für eine saubere Wirtschaft; iii) Vorteile der grünen Wirtschaft für Arbeitnehmer und Verbraucher und iv) ein globaler Weg für den grünen Übergang. Zu den bislang festgelegten Maßnahmen gehören die Vereinbarung, weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit bei Konformitätsbewertungen zu sondieren und die Gründung einer Initiative zur gemeinsamen Bewertung von Lieferketten, Transparenz und Rückverfolgbarkeit. Weitere Ergebnisse und Initiativen sind für das fünfte TTC-Treffen Ende 2023 geplant: Dazu gehören der Start einer Transatlantic Circular Economy Initiative und einer Initiative zu Green Public Procurement Policies.
Rolle der Welthandelsorganisation (WTO)
Seit Dezember 2019 lehnen die USA ab, Mitglieder für das Berufungsgremium der Welthandelsorganisation (WTO) zu ernennen. Dies bedeutet, dass WTO-Verpflichtungen nur schwer durchgesetzt werden können und viele Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern ungelöst bleiben. Die USA äußerten sich besorgt über die „richterliche Übermacht" des Berufungsgremiums und betonten die Notwendigkeit, die Streitbeilegungsfunktion insgesamt weiterzuentwickeln, haben jedoch noch keine konkreten Reformvorschläge eingebracht.

Ein weiterer Aspekt, bei dem sich die WTO und die USA nicht einig sind, ist das Thema der nationalen Sicherheit. Im Dezember 2022 lehnten die USA die Berichte des WTO-Panels zu den von der Trump-Regierung eingeführten und von der Biden-Regierung aufrechterhaltenen Stahl- und Aluminiumzöllen ab. Die USA blieben bei ihrer Haltung. Laut USTR sollten „Fragen der nationalen Sicherheit nicht im Rahmen der WTO-Streitbeilegung geprüft werden können.“ Die WTO sei nicht befugt, die Fähigkeit eines WTO-Mitglieds zu beurteilen und auf Bedrohungen seiner Sicherheit zu reagieren. Statt auf Angelegenheiten der nationalen Sicherheit zu reagieren, müssten diese antizipiert werden. Unter WTO-Standards würde zu spät gehandelt werden.

Nationale Sicherheitsbedenken erstrecken sich auf eine Vielzahl von Sektoren, von der Stahlindustrie bis hin zu fortschrittlicher Technologie. Aufgrund der Befürchtung, dass die Chiptechnologie für chinesische militärische Zwecke genutzt werden könnte, kündigte die Biden Administration im Oktober 2022 Ausfuhrkontrollen für fortschrittliche Halbleitertechnologien nach China an. Die chinesische Regierung hat ihrerseits im August dieses Jahres eine Ausfuhrgenehmigungspflicht für Gallium und Germanium eingeführt, zwei Metalle die in Computerchips und Solarzellen verwendet werden. Da die Spannungen in den Beziehungen zwischen den USA und China ansteigen, ist eine Zunahme der Maßnahmen und Gegenmaßnahmen im Interesse der nationalen Sicherheit zu erwarten.

Zuletzt unterzeichnete Präsident Biden am 9. August dieses Jahres eine Executive Order (E.O.) zur Investitionsprüfung kritischer Technologien in „bedenklichen Ländern“, darunter die Volksrepublik China, Hongkong und Macau. Damit werden US-Personen („US Persons“) „verbotene Transaktionen“ in China von Produkten und Technologien, die eine besonders akute nationale Sicherheitsbedrohung für die USA darstellen, untersagt. Als Sicherheitsbedrohung wird eine Transaktion eingestuft, sobald sie für die militärischen, nachrichtendienstlichen, überwachungs- oder cybertechnischen Fähigkeiten von „bedenklichen Ländern“ zentral ist.
Kritik an der Handelsagenda
Die Biden-Administration wird für ihre handelspolitische Agenda vom Kongress, dem Privatsektor, zivilen Organisationen und Gewerkschaften kritisiert. Vor allem die schwierige Umsetzbarkeit und der fehlende Marktzugang bei den Rahmenabkommen werden bemängelt. Außerdem wird mangelnde Transparenz kritisiert, und dass Interessengruppen während der Verhandlungsphase nicht miteinbezogen wurden.

Die Unzufriedenheit der Kongressabgeordneten mit der Handelspolitik der Regierung ist bei beiden Parteien zu spüren. Viele Abgeordnete sind der Meinung, dass die Regierung die verfassungsmäßige Zuständigkeit des Kongresses für den Handel ignoriert, indem sie sich auf „Partnerschaften“ konzentriert, anstatt durchsetzbaren und umfassenden Freihandelsabkommen den Vorrang zu geben. Die Frustration des Kongresses darüber, dass die Regierung die Handelsverhandlungen ohne Zustimmung des Kongresses vorantreibt, wurde in verschiedenen Foren deutlich. In einem Schreiben an Präsident Biden bekräftigten die Mitglieder des Finanzausschusses des Senats, dass Abkommen wie IPEF zwar keine gegenseitigen Zollsenkungen beinhalten, aber darauf abzielten, den Außenhandel zu regulieren und die internationalen Handelsströme neu zu gestalten. Dies müsse vom Kongress genehmigt und umgesetzt werden. In dem Schreiben von Dezember 2022 wurden umfassende Konsultationen mit dem Kongress, und eine größere Transparenz gegenüber den Interessengruppen und der Öffentlichkeit gefordert. Außerdem sollten sich Regierung und Kongress auf Mechanismen zur Vorlage, Genehmigung und Umsetzung von IPEF einigen. 

Seitens der Wirtschaft kritisiert unter anderem die US Chamber of Commerce den neuen Ansatz der Regierung und argumentiert, dass Handel ein wichtiger Wirtschaftsmotor für das Wohlstandswachstum war und ist. Der Privatsektor lehnt die Auffassung der Regierung ab, dass der Handel einem „Wettlauf nach unten“ gleiche. Rund 40 Millionen Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten sind an den Handel gebunden, und sind im Durchschnitt 15 bis 20 Prozent besser bezahlt als Jobs anderer Gewerbe.

Während man bei USTR häufig auf die Unterbrechungen der Lieferketten während der Covid-Pandemie als Schwachpunkt des Handels verweist, argumentiert die US-Handelskammer, dass es nur durch internationalen Handel möglich war, den dringenden Bedarf im ersten Jahr der Pandemie zu decken. Die Handelskammer betrachtet den Handel und die Zusammenarbeit mit Verbündeten als wichtiges Instrument zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen und zur Bekämpfung der unfairen Handelspraktiken Chinas. 

Zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften haben Bedenken geäußert, dass die von der Regierung ausgehandelten Rahmenvereinbarungen in Bezug auf Arbeitsnormen und Umweltschutz nicht durchsetzbar sind. Die einzige verbindliche Formulierung des Abkommens mit Japan über kritische Mineralien beispielsweise betreffe lediglich eine vage Verpflichtung zum Informationsaustausch über den Arbeitsschutz und erwähne keinen Umweltschutz, so die NGO Public Citizen. Diese Gruppen haben auch den Mangel an Transparenz bei den IPEF-Verhandlungen beanstandet und insbesondere ihre Enttäuschung darüber zum Ausdruck gebracht, dass der Text des Säule-II-Lieferkettenabkommens noch nicht veröffentlicht wurde. 
Ausblick für die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen
Die Biden-Administration plant aktuell keine Verhandlungen klassischer Freihandelsabkommen (FTAs), auch nicht mit der EU. Traditionelle Bezugspunkte des internationalen Handels, wie der Marktzugang, werden nur selektiv bei sektoralen Vereinbarungen wie zum Beispiel bei kritischen Mineralien oder Stahl und Aluminium eingesetzt. Die nach innen gerichtete US-Wirtschaftspolitik wird seitens internationaler Partner kritisch gesehen, da Subventionen und inländische Wertschöpfung (Domestic Content) durch den Inflation Reduction Act, den CHIPS and Sciene Act und den Infrastructure Investment and Jobs Act (IIJA) wettbewerbsverzerrend wirkten.

Gleichzeitig gibt es aber seitens der Biden-Administration Bemühungen, die transatlantischen Beziehungen zu fördern. Der US-EU Trade and Technology Council (TTC) soll die wirtschaftliche Integration voranbringen, indem Handelshemmnisse beseitigt und Standards geschaffen werden.

Die Bedeutung der transatlantischen Beziehung spiegelt sich seit Jahrzehnten nicht nur im Handel, sondern auch bei den ausländischen Direktinvestitionen in den USA wider. Die Vereinigten Staaten sind der wichtigste Standort für EU-Direktinvestitionen und umgekehrt sind die Vereinigten Staaten der wichtigste Investor in der EU. Friendshoring - die Vernetzung von Wertschöpfungsketten mit Partnerländern- bietet weitere Integrationsmöglichkeiten für die EU und Deutschland. Wenn beide Seiten auf den Abbau von nichttarifären Handelshemmnissen setzen, besteht laut einer Studie von Deloitte großes Potenzial, die gegenseitigen Exporte zu steigern. Rahmenabkommen wie der TTC und sektorspezifische Verhandlungen wie zu kritischen Mineralien, TIST und Stahl und Aluminium sind in der jetzigen Gemengelage die vielversprechendsten Mittel, die transatlantischen Wirtschaftsbeziehung zu vertiefen.
Informationen des Representative of German Industry and Trade (RGIT) in Washington, DC

Kontakt:
Tel: (001) 202-659-4777


Die Washington News berichten über aktuelle wirtschafts- und handelspolitische Entwicklungen
in den USA.
DISCLAIMER

This material is distributed by the Representative of German Industry and Trade (RGIT) on behalf of the Federation of German Industries (BDI) and the Association of German Chambers of Commerce and Industry (DIHK). Additional information is available at the Department of Justice, Washington, DC.