Die sogenannte strategische Konkurrenz mit China hat oberste Priorität in Washington. Laut US-Wirtschaftsministerin Gina Raimondo verfolgt die Biden Administration eine wirtschaftspolitische Strategie, die Investitionen aus Partnerländern und -regionen in die US-Industrie fördern soll.[1] Unter dieser Strategie verschärfen die USA ihre Handelspolitik gegenüber China und bauen gleichzeitig ihre Wirtschaftsbeziehungen mit Verbündeten und Partnerländern aus.
Die Industrie- und Außenwirtschaftspolitik der USA haben erhebliche Auswirkungen auf globale Lieferketten, vor allem in der geoökonomisch wichtigen Indo-Pazifikregion. Das vorliegende Papier stellt die Kernelemente der US-amerikanischen Indo-Pazifik-Wirtschaftspolitik sowie die dahinterstehenden Determinanten zusammenfassend vor. Auf die möglichen Auswirkungen auf deutsche Unternehmen in China und in der Region wird am Ende eingegangen
US-China Konkurrenz
Die Konkurrenz mit China ist eines der wenigen überparteilichen Themen in Washington. Der Uyghur Forced Labor Prevention Act (s.u.) wurde zum Beispiel einstimmig in beiden Kammern des US-Kongresses verabschiedet.[2] Der CHIPS und Science Act, der Subventionen für die US-Halbleiterindustrie bereitstellt, erhielt parteiübergreifende Mehrheiten in beiden Kammern. Kritik der Republikaner an der Politik der Biden Administration gilt meistens dem nachgiebigen Umgang mit China. Es ist zu erwarten, dass die Tonart des neuen Kongresses gegenüber China noch schärfer wird, obwohl die Administration schon jetzt US-Importe und -Exporte einschränkt.
Uyghur Forced Labor Prevention Act
Als Maßnahme gegen Zwangsarbeit in der chinesischen Provinz Xinjiang ist der Uyghur Forced Labor Prevention Act im Juni 2022 in Kraft getreten. Er schreibt Importeuren vor nachzuweisen, dass alle Güter mit Verbindung zu Xinjiang nicht durch Zwangsarbeit produziert wurden. Importe ohne Nachweis werden an der Grenze automatisch gesperrt. Zwar sind solche Zollentscheidungen anfechtbar, die Verantwortung für die Nachweispflicht tragen jedoch immer die Unternehmen, nicht der Staat. Zahlreiche US- und ausländische Unternehmen müssen mit einem erhöhten administrativen Aufwand sowie den damit verbundenen Kosten rechnen. Die US-Politik sieht die Wirtschaftskosten allerdings als sekundär im Vergleich zum Schutz der Menschenrechte und dem erhöhten Druck auf China.
Verschärfte Exportkontrollen
Ähnlich wie Wirtschaftsministerin Raimondo hat der nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan die bisherige US-Exportkontrollpolitik als „zu reaktiv“ bezeichnet.[3] Ziel der alten Politik sei lediglich gewesen, einen relativen US-Technologievorteil gegenüber China zu behalten. Dadurch wurden nur die neusten Technologien in sicherheitsrelevanten Bereichen kontrolliert. Mit einer massentauglicheren Anwendung der Technologien wurden auch die Kontrollen entsprechend gelockert. Angesichts unfairer chinesischer Wirtschaftspraktiken und regelmäßiger Verletzungen von geistigem US-Eigentum und anderer Länder, sei diese Politik veraltet.
Der neue Ansatz der US-Exportkontrolle soll den chinesischen Zugang zu US-Technologien in kritischen Bereichen weitestgehend verhindern. Als kritisch betrachtet werden Computer- und Informationstechnologien. Ein Beispiel der neuen Denkweise der US-Wirtschaftspolitik sind die neuen und weitgreifenden Exportkontrollen von Halbleitern, in deren Produktionsprozesse US-Personen in China involviert sind.
Allerdings soll nur die Produktion hochentwickelter Chips in China davon betroffen sein. Ältere, „reife“ Halbleiter stellten nach der Logik von Sullivan und Raimondo keine Sicherheitsbedrohung dar und sollen daher nach wie vor mit aus den USA stammenden Anlageteilen produziert werden dürfen. Das Bureau of Industry and Security hat einjährige Lizenzen an alle großen Halbleiteranlagen-Produzenten vergeben, um Störungen in Halbleiterlieferketten vorläufig zu vermeiden. Die Biden Administration drängt ihre Verbündeten dazu, ähnliche Maßnahmen umzusetzen, besonders die EU und Japan.
Geoökonomische Rahmen
Neben den verschärften, gegen China gerichteten wirtschaftspolitischen Maßnahmen, wollen die USA ihr wirtschaftliches Engagement mit Partnern im Indo-Pazifik zeitgleich vertiefen. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick zu den geoökonomisch wichtigsten Rahmenprogrammen gegeben, die Washington derzeit vorantreibt.
The Quad
Der Quadrilateral Security Dialogue (kurz Quad) wird als informelle Allianz zwischen den USA, Australien, Indien und Japan beschrieben. Das Gremium ist eher ein Koordinierungsmechanismus, der keine Sicherheitsgarantien zwischen seinen Mitgliedern vereinbart. Nach seiner Gründung im Jahr 2007 folgte unter der Obama Administration eine achtjährige Pause der Quadtreffen. Sie gewannen wieder an Bedeutung als sicherheitspolitisches Forum unter Trump. Mit der Biden Administration sind wirtschaftspolitische Elemente hinzugekommen. Inzwischen gibt es Arbeitskreise zu den Themen Impfstoffe, Klimapolitik, Zukunftstechnologien, Cybersicherheit, Infrastruktur und Raumfahrt.
IPEF
Das Indo-Pacific Economic Framework for Prosperity ist das Leuchtturmprojekt der Biden Administration für ihr wirtschaftspolitisches Engagement im Indo-Pazifikraum. Die USA, zusammen mit 13 Partnerländern[4] in der Region, führen Diskussionen innerhalb von vier Säulen:
1. Handel
2. Lieferketten
3. Saubere Energien, Dekarbonisierung und Infrastruktur
4. Antikorruption und fairer Wettbewerb
Obwohl IPEF konkrete Ergebnisse hervorbringen soll, sind Zollerleichterungen nicht Teil der Diskussionen. In dieser Hinsicht ist dieses Rahmenprogramm mit dem Trade and Technology Council mit der EU vergleichbar. Die Partnerländer hatten die Gelegenheit auszuwählen, in welchen Bereichen („Säulen“) sie teilnehmen wollen. Bis auf Indien, das sich gegen eine Teilnahme beim Thema Handel entschied, beteiligten sich alle Länder an den Diskussionen zu den vier Themen.
Die handelspolitischen Ziele der Biden Administration im IPEF spiegeln ihre so genannte Worker-Centric Trade Policy wider. Die Administration beabsichtigt durch ihre Handelspolitik Arbeitnehmerrechte, Klimaschutz und resiliente Lieferketten im Indo-Pazifik zu unterstützen.[5] Damit versteht die Biden Administration Handelspolitik als ein Mittel, andere politische Ziele voranzubringen. Die Außenhandelsförderung selbst spielt für die jetzige US-Regierung eine untergeordnete Rolle.
In diesem Kontext kann IPEF auch als Ersatz für eine US-Teilnahme am Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (CPTPP) gesehen werden. Die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai hat Freihandelsabkommen als nicht mehr zeitgemäß bezeichnet. Weil es kaum Interesse an Freihandelsabkommen in der Administration gibt, ist IPEF der Versuch, die wirtschaftlichen Interessen regionaler Partner anzusprechen, ohne größere Konzessionen anbieten zu müssen.
Partners in the Blue Pacific
Im Juni 2022 haben die USA, das Vereinigte Königreich, Australien, Japan und Neuseeland eine neue, auf die Pazifikinselstaaten gerichtete Partnerschaft angekündigt. Die Ziele der Partnerschaft sind die Förderung von Entwicklungsprojekten im Pazifikraum, Kooperationen zwischen Pazifikstaaten zu unterstützen und den Pazifikinselstaaten in internationalen Foren Gehör zu verschaffen.[6] Die Unterzeichnung eines Sicherheitsabkommens zwischen China und den Salomonen im April 2022 hat in Washington Besorgnis ausgelöst. Die USA befürchten, dass sie ihren Sonderstatus mit vielen Pazifikinselstaaten verlieren könnten. Die Initiative Partners in the Blue Pacific kann somit auch als Reaktion auf den vermeintlichen Vormarsch Chinas im Südpazifik verstanden werden.
Auswirkungen auf deutsche Unternehmen in der Region
Deutsche Unternehmen im Indo-Pazifik-Raum beobachten die steigenden geopolitischen Spannungen zwischen China und den USA mit Sorge. US-Exportkontrollen und der Uyghur Forced Labor Prevention Act haben direkte Auswirkungen auf viele deutsche US-Unternehmen, da sie entweder Produkte aus der Region in die USA importieren oder zahlreiche US-Produkte, US-Technologien und US-Mitarbeiter in ihren Wertschöpfungsketten tätig sind. Auch US-Initiativen, die Handelshemmnisse mit manchen Staaten in der Region abbauen sollen, werden teilweise als Bausteine einer Entkopplungspolitik wahrgenommen. Deutsche Unternehmen in Asien und Pazifikländern befürchten die Zersplitterung des regionalen Markts in US- und chinesisch geführte Blöcke. Durch konkurrierende Wirtschaftsrahmen wie IPEF auf der US-Seite und RCEP und die neue Seidenstraße auf der chinesischen Seite erhöht sich der Druck auf deutsche und andere Unternehmen, getrennte Lieferketten aufzubauen.
Viele deutsche Unternehmen in der Region reagieren auf diese Trends schon jetzt mit einer Diversifizierungsstrategie. Dazu gehört auch der Aufbau von China-unabhängigen Lieferketten. Die Pandemie und Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine haben gezeigt, wie rasant geopolitisch erzeugte Lieferkettenstörungen entstehen können. Steigende Sicherheitsrisiken um Taiwan und der koreanischen Halbinsel könnten auch für deutsche Unternehmen relevante Handelswege gefährden. China hat in letzter Zeit zahlreiche Flugmissionen innerhalb des Luftverteidigungsraums Taiwans unternommen. Die russische und chinesische Luftwaffe haben ebenso eine gemeinsame Übung über der Meeresstraße zwischen Korea und Japan durchgeführt. Damit wollen die zwei Mächte ihre Fähigkeiten demonstrieren, Handelswege wichtiger US-Verbündeten absperren zu können.
Bereits in China ansässige deutsche Unternehmen erfahren zunehmend Lokaliserungsdruck durch die chinesische Regierung. Viele bauen gesonderte Geschäftsmodelle für China auf, die vom Rest der Region entkoppelt sind. Es herrscht jedoch kein unmittelbarer Drang, den chinesischen Markt rasch zu verlassen. Allerdings erweitern viele deutsche Unternehmen ihre Geschäfte in China nicht mehr.
Aus Washingtoner Sicht deutet derzeit nichts auf eine geopolitische Entspannung zwischen den USA und China hin. Die USA wird die wirtschaftlichen Beziehungen mit China aller Voraussicht nach in den kommenden Jahren noch weiter einschränken. Das wirtschaftliche Engagement der USA im Indo-Pazifik wird auch gegen innenpolitische Schranken stoßen. Der neue Kongress mit einer republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus wird seine Aufsicht der US-Außenwirtschaftspolitik gegenüber der Biden Administration voraussichtlich aktiver durchsetzen. Führende Republikaner drängen auf immer schärfere Exportkontrollmaßnahmen gegen China. Überparteiliche Gruppierungen in beiden Kammern bestehen darauf, dass IPEF-Vereinbarungen die Zustimmung des Kongresses bedürfen.
Der Indo-Pazifik bleibt die ökonomisch dynamischste Region der Welt, allerdings werden geopolitische Spannungen alle wirtschaftlichen Akteure im Raum weiterhin begleiten.
[1] https://www.commerce.gov/news/speeches/2022/11/remarks-us-secretary-commerce-gina-raimondo-us-competitiveness-and-china
[2] https://www.congress.gov/bill/117th-congress/house-bill/6256/actions?q=%7B%22search%22%3A%5B%22uyghur+forced+labor%22%2C%22uyghur%22%2C%22forced%22%2C%22labor%22%5D%7D&r=4&s=3
[3] https://www.whitehouse.gov/briefing-room/speeches-remarks/2022/09/16/remarks-by-national-security-advisor-jake-sullivan-at-the-special-competitive-studies-project-global-emerging-technologies-summit/
[4] Australien, Brunei, Fidschi, Indien, Indonesien, Japan, Südkorea, Malaysien, Neuseeland, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam
[5] https://ustr.gov/about-us/policy-offices/press-office/press-releases/2022/september/indo-pacific-economic-framework-prosperity-biden-harris-administrations-negotiating-goals-connected
[6] https://www.whitehouse.gov/briefing-room/statements-releases/2022/06/24/statement-by-australia-japan-new-zealand-the-united-kingdom-and-the-united-states-on-the-establishment-of-the-partners-in-the-blue-pacific-pbp/