21.09.2020
Nordamerika Nachrichten
Dieser Newsletter informiert deutschsprachige Leser über aktuelle Entwicklungen und Trends im Hochschulwesen der USA und Kanada.
Die Themen dieser Woche:

  • Der Blick des Washington Monthly auf die US-Hochschullandschaft
  • Covid-19 und Hochschulen
  • Retten, was noch zu retten ist, selbst auf Kosten des „Greek Life“
  • Kurznachrichten
Liebe Leserinnen und Leser,

in dieser Ausgabe befassen wir uns mit einem im Washington Monthly veröffentlichten Kassandraruf an die US-amerikanische Hochschulpolitik und weiterhin mit dem Thema Covid-19 und Hochschulen. Wir werfen zudem einen Blick auf die Entscheidung einiger Hochschulen, doch im Herbst mit dem College Football in den Spielbetrieb zu gehen, und schließlich auf verschiedene Kurznachrichten der Woche.

Ich wünsche Ihnen wie immer eine interessante Lektüre und in diesen Wochen zudem Gesundheit und Zuversicht.

Stefan Altevogt
Der Blick des Washington Monthly auf die US-Hochschullandschaft
Der alle zwei Monate erscheinende Washington Monthly hat zwar ein mit US World & News Report konkurrierendes Hochschulranking, ist aber kein vorwiegend mit tertiären Bildungsthemen befasstes „Blatt“ wie etwa der Chronicle of Higher Education oder Inside Higher Education.
In einem Beitrag für den Washington Monthly schreibt Kevin Carey, Direktor des Education Policy Program beim eher linksliberal einzuordnenden Think Tank „New America“, dass die derzeitige und von Covid-19 noch drastisch beschleunigte Krise vieler US-Hochschulen historisch beispiellos und dass ein „New Deal“ für den größten Teil der Hochschullandschaft überlebenswichtig sei. Er schreibt: „Even relatively conservative estimates like those published by the college financial planning firm Edmit suggest that, thanks to declining revenue and investment returns, one-third of all private colleges are now on track to run out of money within six years – a nearly 50 percent increase in estimates from 2019 – and many are vulnerable to bankruptcy much sooner. Public universities, meanwhile, are about to be hammered by steep cuts in government funding, forcing them to raise prices, cut services, and turn away students, including millions of newly unemployed workers.”
Carey schlägt vor, die gegenwärtige Krise nicht einfach ungenutzt verstreichen zu lassen, etwa durch Bundeshilfen zur Bewältigung der akuten Symptome infolge von Covid-19, sondern den Neubau eines tertiären Bildungsökosystems zu wagen, das vielen, wenn nicht gar den allermeisten Studierenden dient und nicht, wie derzeit, nur einigen wenigen. Gebaut werden müsse ohnehin, denn sonst würden auf die durch Hochschulsterben entstehenden Brachen gewinnorientierte Unternehmen drängen.
Hochschulen erfüllten eine gesellschaftlich relevante Aufgabe und sollten, so der Grundgedanke des „New Deal“, entsprechend von der öffentlichen Hand entgolten werden. Der Bund solle sich an diesen Aufwendungen mit $10.000 pro Studierendem (Full Time Equivalent) und Jahr beteiligen, zahlbar an jede Einrichtung, die sich bestimmten Bedingungen unterwirft. Eine der Bedingungen müsse dabei sein, sich auf eine einheitliche Auszeichnung der Preise für das Studium zu einigen, eine andere ein einheitliches System der Bewertung von Studienleistungen mit der selbstverständlichen Möglichkeit der Übertragung an eine andere Einrichtung. Nicht alle Hochschulen würden sich dem unterwerfen wollen, aber diejenigen die es wollten, könnten durchaus große Vorteile aus einer Skalierung von Unterrichtsmodulen ziehen, Module, die mit steigendem Online-Anteil an Unterricht ohnehin an Bedeutung gewännen.
Ein wichtiges Element seines „New Deal“ sieht Carey im Rückbau der sich über die vergangenen Jahrzehnte noch verstärkt habenden Höhenunterschiede in der Hochschullandschaft. Hier regt er an, für „gemeinnützige“ Hochschulen nicht nur die sich derzeit auf 1,4% belaufenden Steuern auf Erträge aus Vermögen oberhalb von $500.000 pro Studierendem beizubehalten, sondern vor allem auch die Spenden an Hochschulen mit Vermögen oberhalb von $200.000 pro Studierendem nicht mehr von der Steuer abzugsfähig zu halten. Durch diese Abzugsfähigkeit werde derzeit noch die fortschreitende Stratifizierung der Hochschullandschaft öffentlich subventioniert. Er schreibt: „The real money isn’t in the taxes colleges don’t pay on their endowment earnings. It’s in the income taxes individuals don’t pay on their donations to colleges, which are effectively subsidized at nearly 40 percent for the wealthiest donors, and thus provide an incentive to donate much more.” An diesen Stellen könne die öffentliche Hand sehr viel Geld sparen, Geld das in einen „New Deal“ für die Hochschullandschaft investiert werden müsste.
Ein einfaches „weiter so wie bisher“ könne er sich nur schwer vorstellen, denn hinsichtlich des (überwiegend) öffentlich finanzierten Teils der Hochschullandschaft gelte bislang noch die Annahme, dass die bundesstaatlichen Regierungen ihre jeweiligen Systeme bedarfsgerecht ausbauten und auskömmlich finanzierten. Diese Grundannahme werde sich zunehmend als falsch erweisen.

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Der College Guide des Washington Monthly kennt für sein Ranking von vierjährigen Hochschulen mit National Universities, Liberal Arts Colleges, Master’s Universities und Bachelor’s Colleges vier verschiedene Kategorien; in den ersten beiden werden jeweils auch in anderen Rankings erfolgreiche Hochschulen angeführt: Stanford, Harvard, MIT bei den National Universities und Amherst, Wesleyan, Berea bei den Liberal Arts Colleges. Bei den Master’s Universities und Bachelor’s Colleges tauchen dann aber auch weniger häufig genannte Namen auf, etwa das Goddard College in Vermont auf dem Spitzenplatz der Master’s Universities, gefolgt von Evergreen State College und dem Standort San Bernardino der California State University (Cal State) oder das College of the Ozarks auf dem Spitzenplatz der Bachelor’s Colleges, gefolgt von Cooper Union in New York City und Hiram College in Ohio.
Was das Ranking aber auszeichnet, ist die Bewertung eines Preis-Leistungs-Verhältnisses, in der Landessprache „Best Bang for the Buck (...), where students of modest means get the most for their money“. Hier rät der Washington Monthly angehenden Studierenden im Nordosten des Landes, sich an Harvard oder Yale zu bewerben, im Südosten an Georgetown oder Washington and Lee, im Süden am Berea College oder an Texas A&M, im Mittleren Westen am College of the Ozarks oder an der National Louis University und im Westen an Cal State in Stanislaus oder am Tacoma-Campus der University of Washington.

Sie finden das Ranking hier.
Covid-19 und Hochschulen
Die New York Times zählt aktuell mehr als 88.000 Fälle von Covid-19 an knapp 1.200 US-amerikanischen Hochschulen und schreibt: „More than 150 colleges have reported at least 100 cases over the course of the pandemic, including dozens that have seen spikes in recent weeks as dorms have reopened and classes have started. Many of the metro areas with the most cases per capita in recent days — including Oxford, Miss.; Athens, Ga.; and Champaign, Ill. – have hundreds of cases at universities.”

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Der Chronicle of Higher Education meldet ein knappes Misstrauensvotum der Fakultätsmitglieder an der University of Michigan, Ann Arbor, gegen den dortigen Präsidenten Mark Schlissel, dessen Pläne für eine Wiederaufnahme des Normalbetriebs nicht mitgetragen würden. Zum Ausgang der (freilich zunächst einmal folgenlosen) Abstimmung heißt es: „The faculty on Wednesday cast 957 votes in support of the no-confidence motion and 953 against it, with 184 abstentions. Faculty leaders initially said the motion had failed because they counted abstentions as negative votes. A faculty uproar ensued, and then an exploration of arcane parliamentary rules. That process led to a different conclusion.“

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In einem Beitrag für Inside Higher Education rät Robert Massa, CEO des auf internationale Studierende spezialisierten Interessensverbands Hudson Global Alliance, von Rabatten auf wegen Covid-19 jetzt online durchgeführte Studiengänge ab und empfiehlt dagegen, das Studium für weitere Kreise erschwinglicher zu machen. Er schreibt: „Rather than lowering tuition when their instructional costs have not declined, colleges and universities that are already losing significant revenue from student fees, room rent and board charges should work with families individually to help those who have suffered financially in this crisis. They should do this equitably on a case-by-case basis, using a combination of their own resources, funds from the federal stimulus package earmarked for student assistance and various extended payment options to help families in need.”

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Ein Beitrag befasst sich im Chronicle of Higher Education mit der Frage, ob Quarantäne und Lockdown vor Ort für 14 Tage statt einer Schließung des jeweiligen Campus eine angemessene und zielführende Antwort auf Fälle von Covid-19 seien, und antwortet mit: „A pause, if strictly followed, breaks the chains of transmission. It keeps people who are already infected from infecting others, including those who may not yet know they’re infected and might otherwise hang out with friends and in public spaces.” Das Problem entstünde eher nach einem erfolgreichen Lockdown, dann nämlich, wenn die Strenge der Maßnahmen nachließe und die Infektionsrisiken wieder stiegen. Wäre dann ein weiterer Lockdown nötig, würden die Vorteile gegenüber rein virtuellen Unterrichtsformen schnell verschwinden.

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Retten, was noch zu retten ist, selbst auf Kosten des „Greek Life“
Die New York Times meldet die Absicht der „Big Ten Conference“, also einer der prominenten Ligen des Collegefootball in den USA, den regulären Spielbetrieb Mitte Oktober aufzunehmen, um damit eine wichtige Einnahmequelle für die beteiligten 14 Hochschulen nicht versiegen zu lassen (der Name Big Ten hat historische Gründe; die beteiligten Hochschulen heißen: University of Illinois, Indiana University Bloomington, University of Iowa, University of Maryland, University of Michigan, Ann Arbor, Michigan State University, University of Minnesota, University of Nebraska, Northwestern University, Ohio State University, Pennsylvania State University, Purdue University, Rutgers University und University of Wisconsin).
Allein der Blick auf die Größe einiger Stadien – in drei der Big Ten Stadien passen jeweils mehr als 100.000 Fans, und Spiele sind in aller Regel ausverkauft – gibt einem eine Vorstellung von der ökonomischen Bedeutung einer regulären Saison, doch seien im Hinblick auf die Pandemie die Wettbewerbe in den allermeisten Football-Ligen bereits während des Sommers vorsichtshalber abgesagt worden, weil nämlich vor allem an Spieltagen in den Stadien und um sie herum ideale Infektionsbedingungen herrschen. Bei den Big Ten wolle man nun eine Lösung gefunden haben, die mit dem „Greek Life“ – ein Euphemismus für „Party“) andere Superspreader Events an den Hochschulstandorten zurückzudrängen versucht, um die ökonomisch erheblich bedeutenderen Spieltage der Footballmannschaft zu ermöglichen. Die Entscheidung sei allerdings nicht unumstritten. Es heißt: „The move will likely appease some prominent coaches, parents, players, fans and even Mr. Trump, but is also likely to provoke new accusations that the league is prioritizing profits and entertainment over health and safety.”
Der jüngsten Entscheidung werde allerdings aus zwei Gründen keine lange Lebensdauer prophezeit, denn zum einen häuften sich positive Corona-Tests auch bei Spielern und Betreuern der Mannschaften in anderen Ligen und einige Spiele hätten bereits abgesagt bzw. verschoben werden müssen, und zum anderen seien Spieltage für die Studierenden vor allem eines: riesige, campusweite Parties.

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Kurznachrichten
Inside Higher Education meldet Ergebnisse einer Umfrage des Strada Education Network unter berufstätigen Erwachsenen zu deren Auffassung, ob sich ein Studium lohne bzw. bessere berufliche Aussichten verspreche, und die Ergebnisse seien vor allem im Hinblick auf die Erwartungen von Hochschulen ernüchternd, ihre Programme künftig vermehrt an „non traditional students“ verkaufen zu können. Laut Umfrage ist die Einschätzung, ein Hochschulbesuch sei die damit verbundenen Kosten wert, im vergangenen Jahr von 77% Ja-Stimmen auf 59% Ja-Stimmen zurückgegangen und die Erwartung, durch ein Studium einen besseren Job zu bekommen, von 89% auf 64%.

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Der Chronicle of Higher Education meldet eine weitere Runde im Rechtsstreit zwischen Harvard University und der Organisation Students for Fair Admissions (SFFA) über die Berücksichtigung ethnischer Hintergründe im Zulassungsverfahren der Hochschule. Derzeit gäbe die Urteilslage Harvard Recht, SFFA fechte allerdings das Urteil an und aller Voraussicht nach werde die Frage wegen ihrer grundlegenden Bedeutung letztendlich vom Supreme Court entschieden werden müssen. Die Meldung fasst noch einmal zusammen, worum es im Streit geht: „The advocacy group [SFFA] alleged that Harvard had sought to ‘balance’ its admitted class by race and fulfill racial quotas – both illegal practices – by consistently ranking Asian Americans lower on a metric of students’ personalities.”

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Bevor sich der Vorsitzende des Bildungsausschusses im US-Senat, Lamar Alexander, in den Ruhestand verabschiede, so ein Beitrag auf Inside Higher Education, wolle er das wegen seiner byzantinischen Unübersichtlichkeit berüchtigten Antragsverfahren zur Studienförderung aus Bundesmitteln (Free Application for Federal Student Aid, FAFSA) mit seinen derzeit 108 Fragen drastisch vereinfachen. Es heißt: „In addition to reducing the number of questions on the application, Alexander’s measure would replace what can be a lengthy verification process by the Education Department by only asking on the aid form financial questions that appear on IRS [Finanzamt] forms. The tax information would then be used to verify the information on the FAFSA.” Die Bemühungen Alexanders seien allerdings nicht die ersten Versuche in diese Richtung, doch bislang scheiterten sie stets an einer Vermischung von überparteilich angestrebten FAFSA-Reformen mit parteipolitisch deutlich umstritteneren Themen.

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University Affairs zitiert jüngste Zahlen von Statistics Canada, denen zufolge fast die Hälfte aller Hochschulabsolventen in Kanada nach Studienabschluss Schulden zu begleichen hätte, der Schuldenmedian bei Bachelor- und Masterabsolventen bei etwa Can$20.000 liege und bei berufsbezogenen Abschlüssen bei Can$60.000.

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