Dieser Newsletter informiert deutschsprachige Leser über aktuelle Entwicklungen und Trends im Hochschulwesen der USA und Kanada. | |
Die Themen dieser Woche:
- „Sticker Prices“ und tatsächliche Studienkosten
- Columbia University in den nationalen Schlagzeilen
- Virginia Foxx, Elitehochschulen und das House Committee on Education
- Kurznachrichten
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Liebe Leserinnen und Leser,
wir befassen uns in dieser Ausgabe wiederholt mit den von den sog. „Sticker Prices“ abweichenden tatsächlich gezahlten Studiengebühren an US-amerikanischen Hochschulen und mit der jüngsten Anhörung der Präsidentin einer „Elite-Hochschule“ vor dem Committee on Education im US House of Representatives. Wir werfen zudem einen Blick auf die Vorsitzende dieses Ausschsses, Virginia Foxx, und – wie immer – auf verschiedene Kurznachrichten.
Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre.
Herzliche Grüße,
Stefan Altevogt
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„Sticker Prices“ und tatsächliche Studienkosten | |
In der ersten April-Ausgabe hatten wir uns mit einer Meldung befasst, wonach an Vanderbilt University die Studienkosten für Tuition, Room and Board die Schallmauer von $100.000 erreicht habe, und darauf hingewiesen, dass es sich bei dieser Preisangabe um einen sog. „Sticker Price“ handelt, also eher einem Ausdruck der Selbsteinschätzung der jeweiligen Hochschule. Dieser umgangssprachlich oft als Sticker Price bezeichnete wird auch als „Cost of Attendance (COE)“ ausgewiesen und ist gesetzlich als Summe aus Studiengebühren, Verpflegung und Unterkunft sowie alle anderen Bildungs- und Lebenshaltungskosten (Bücher, Reisen und andere persönliche Ausgaben) definiert. Colleges und Universitäten sind verpflichtet, diesen Betrag öffentlich zu melden. Dagegen ist der „Net Price“ das, was die Studierenden tatsächlich zahlen, also COA abzüglich aller Studienbeihilfen, die als „Grants“, also Zuschüsse gewährt werden (d. h. keine Darlehen oder im Rahmen von Work-Study-Programmen erzielte studentische Einkommen). Die Net Prices werden – wir wiesen darauf hin – regelmäßig von der Firma College Board auf Grundlage von Daten des Bildungsministerium erhoben.
Die Brookings Institution, ein in Washington, DC ansässiger, als überparteilich geltender und einflussreicher Think Tank, hat sich nun unabhängig von College Board mit der Frage beschäftigt, wie sich der Net Price, also die tatsächlich gezahlten Kosten des Studiums für Familien in unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen seit Mitte der 1990er Jahre sowohl an öffentlichen als auch an privaten Hochschulen verändert hat. Methodisch arbeitet der von Phillip Levine erstellte, interaktive Bericht sinnvollerweise zum einen mit inflationsbereinigten Zahlen, zum anderen lässt er einen Blick auf die Entwicklung in den unterschiedlichen Einkommenskohorten zu, geht also über die unteren und mittleren Segmente der Einkommensverteilung hinaus, für die es heißt: „The average amount students actually pay (the ‘net price‘) has evolved quite differently over time from the sticker price: it has recently stabilized and even fallen [for some] in the last few years.“
Zudem verdeutlicht der Bericht auch noch einmal die Nomenklatur der Debatte um Studienkosten und erläutert die beiden Arten der Studienbeihilfen, nämlich die „need-based“ (bedarfsabhängige) und die „merit-based“ (leistungsabhängige). Bezugsberechtigung für eine bedarfsabhängige Unterstützung werde anhand der finanziellen Angaben ermittelt, die Studierende beim Ausfüllen der Free Application for Federal Student Aid (FAFSA) machten. Anhand dieser Angaben ermittelten Hochschulen den erwarteten Beitrag des Studierenden bzw. dessen Familie, die „Expected Family Contribution (EFC)“. Der daraus errechnete finanzielle Bedarf eines Studierenden sei die Differenz zwischen dem COA und dem EFC. Bezieher öffentlich finanzierter Studienbeihilfen erhielten von den Hochschulen keine weiteren Hilfen, die über diesen finanziellen Bedarf hinausgingen. Die Hochschulen seien nicht einmal verpflichtet, den vollen Betrag zu gewähren, auf den Studierende Anspruch hätten, und die allermeisten Colleges würden dies auch nicht tun. Diejenigen, die es täten, bezeichne man als „meet full need“. Es heißt darüber hinaus: „Many institutions also award financial aid that lowers the net price for other reasons. It is typically labeled as merit aid because students with stronger academic records receive larger awards. For students with no financial need, merit aid directly reduces what students pay. For students with financial need, though, merit-based aid often substitutes, at least partially, for need-based aid. That is, the need-based award is reduced when a student receives merit aid. This means that merit aid mostly benefits higher-income students who otherwise would pay the full sticker price.“
Nun zu den Zahlen der reinen Preisentwicklung: Lag im Studienjahr 1995/96 an öffentlich finanzierten Einrichtungen die COA für Studierende aus Familien mit einem Einkommen von $40.000 im Jahr bei $20.000 und der Net Price bei $12.500, so war zuletzt (Studienjahr 2019/20) die COA auf $33.200 angestiegen, der Net Price aber nur auf $18.100. Bei einem Familieneinkommen von $100.000 im Jahr lag der Net Price am Anfang des Betrachtungszeitraums bei $20.000 und am Ende des Betrachtungszeitraums bei $26.000. Bei Familieneinkommen von $150.000 pro Jahr stieg der Net Price von $19.300 auf 29.300 wie auch bei Einkommen in Höhe von $250.000.
An den privat finanzierten (gemeinnützigen, also nicht gewinnorientierten) Einrichtungen hatte sich der COA im Betrachtungszeitraum von knapp $40.000 auf $71.000 entwickelt, der Nettopreis für die finanziell schwächsten Familien von knapp $20.000 auf knapp $25.000. Selbst für Studierende aus Familien mit einem Einkommen von $250.000 pro Jahr habe sich der Nettopreis lediglich von $37.000 auf $52.000 verteuert [„lediglich“, weil $60.000 zahlen derzeit Familien in New York City für die Unterbringung ihrer Kinder an besseren Privatschulen, pro Kind selbstverständlich und bereits ab Grundschule bzw. Kindergarten].
Deutlich werde (und in der Diskussion von Fachleuten eigentlich gar nicht umstritten): „The sticker price is the wrong way to track college costs.“ Der deutlich geeignetere Wert, über den man sich mit Blick auf Erschwinglichkeit eines Hochschulstudiums unterhalten sollte, sei also der Net Price. Hier könne man sehen, in welcher Gruppe der Einkommensverteilung tatsächlich ein Erschwinglichkeitsproblem zu identifizieren sei, nämlich bei Familien mit einem Jahreseinkommen von bis zu $50.000. An öffentlich finanzierten Einrichtungen sei für sie der Nettopreis im Betrachtungszeitraum von 12.500 auf 18.000 Dollar gestiegen. Selbst der niedrigere Betrag sei für diese Familien damals nur schwer zu zahlen gewesen, doch sei das Studium im Laufe der Zeit für sie noch unerschwinglicher geworden. Die Kosten für eine private Hochschule für Studierende aus solchen Familien seien zwar nicht mehr gestiegen, aber hätten bereits auf einem höheren Niveau gelegen, seien also „schon immer“ unerschwinglich gewesen.
Für die politische Diskussion über die Preisgestaltung an Hochschulen ergäben sich aus der Untersuchung mehrere Schlüsse: Erstens sei der fast durchgängige Fokus auf Sticker Prices im öffentlichen Diskurs dem Verständnis von Hochschulkosten abträglich. Der Sticker Price sei zwar die am einfachsten zu verfolgende Größe, aber gleichzeitig ein irreführender Betrag, der von einer kleinen und abnehmenden Zahl von Studierenden bezahlt werde. Selbst viele einkommensstärkere Familien zahlten nicht den vollen Selbstkostenpreis [anders als internationale Studierende]. Zweitens bräuchte man bessere Informationen darüber, wie viel Studierende in unterschiedlichen finanziellen Verhältnissen für das College bezahlen müssten und wie sich diese Preise im Laufe der Zeit verändert hätten. Wolle man den Zugang zu Hochschulen verbessern, sei wichtig zu verstehen, wie viel Studierende aus Familien mit niedrigem und mittlerem Einkommen zahlten. Allerdings seien diese Informationen derzeit begrenzt und laut Umfragen wüssten nur 19% der Befragten, dass Studierende mit niedrigem Einkommen weniger für das College bezahlen müssten als Studenten mit höherem Einkommen. Drittens seien die Collegekosten immer noch zu hoch und würden immer noch ansteigen. Für Studierende mit höherem Einkommen sei das College in der Tat zwar teuer, aber das Problem der Erschwinglichkeit sei vor allem für Studenten mit niedrigerem und mittlerem Einkommen folgenreicher: „If they can’t afford it, they can’t go.“
Sie finden den Bericht hier.
Sie finden die Presseerklärung zum Bericht hier.
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Columbia University in den nationalen Schlagzeilen | |
Nachdem die Anhörung der Präsidentinnen von Harvard, University of Pennsylvania und MIT vor dem House Committee on Education zu Rücktritten geführt hatte, war man in den USA durchaus gespannt, wie sich die Präsidentin der Columbia University, Minouche Shafik, vor demselben Gremium schlagen würde. Sie war seinerzeit wegen eines Terminkonflikts nicht nach Washington, DC gereist und konnte daher Lehren aus dem desaströsen Auftritt ihrer Kolleginnen ziehen.
Inside Higher Education kommentiert, dass sich Frau Shafik vor allem auf Kosten ihrer Fürsorgepflicht für die Columbia-Fakultätsmitglieder aus der Affäre gezogen habe, und schreibt: „Advocates for academic freedom accused the president of throwing ’faculty and academic freedom under the bus’.” Konfrontiert mit antisemitisch deutbaren Zitaten von Professorinnen und Professoren an Columbia habe sie eingeräumt, dass damit rote Linien überschritten worden seien, die Vorfälle untersucht würden und die betreffenden Personen ggf. entlassen werden müssten. Zurück in New York habe sie sich daher mit Vorwürfen auseinandersetzen müssen, sie habe es versäumt, die akademische Freiheit und die Hochschulbildung im Allgemeinen zu verteidigen. Irene Mulvey, Präsidentin der American Association of University Professors wird dazu mit den Worten zitiert: „I would view her performance as self-serving and career-saving as opposed to what higher education requires of her, which is a robust defense of academic freedom in service of democracy.“
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Der zweite Grund, warum Columbia University derzeit nicht aus den Schlagzeilen kommt, sind Studierendenproteste auf dem Campus gegen das Vorgehen Israels im Gaza-Streifen und im Umgang mit den Palästinensern im Allgemeinen. Eine Teilnehmerin an den Protesten ist die Tochter der Abgeordneten Ilhan Omar. Isra Hirsi, so ein Beitrag in der New York Times, habe mit mehr als 100 Kommiliton*innen auf dem Campus ein Protestcamp aufgeschlagen, sie hätten sich einem Platzverweis durch die Hochschulleitung widersetzt und würden nun aus disziplinarischen Gründen kurz vor Semesterende exmatrikuliert. Es heißt: „Many of the more than 100 Columbia University and Barnard College students who were arrested after refusing to leave a pro-Palestinian encampment on campus on Thursday woke up to a chilly new reality this week: Columbia said that their IDs would soon stop working, and some of them would not be able to finish the semester. The students who were arrested were released with summonses. The university said all of the 100 or so students involved in the protest had been informed that they were suspended.“ Für einige der Betroffenen bedeute dies, dass sie auch ihre Zimmer in den Studierendenwohnheimen räumen müssten. Unabhängig von den Konsequenzen, so heißt es weiter, hätten mehrere der Studierenden in Interviews gesagt, dass sie entschlossen seien, weiterhin gegen Israels anhaltenden Krieg in Gaza zu protestieren.
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Virginia Foxx, Elitehochschulen und das House Committee on Education | |
Man darf davon ausgehen, dass der Vorwurf des Antisemitismus derzeit vor allem ein geeigneter Hebel für konservative Kreise ist, gegen einen als als angeblich abgehoben, weltfremd und in Elitedünkel verfallenen Teil der Hochschullandschaft vorzugehen.
Ein Beitrag in der New York Times leuchtet nun die Vorsitzende des House Committee on Education, Virginia Foxx, aus und es heißt unter der Überschrift „The House Republican Going After Universities on Antisemitism“: „Representative Virginia Foxx is a blunt partisan. But her life in rural North Carolina informs her attacks against these schools, starting with whether Harvard is truly ‘elite‘.”
Für die 80-jährige sei „Elite“ ohnehin ein völlig falscher Begriff für die Bezeichnungen von Hochschule, die allenfalls die teuersten des Landes seien. Auf einer Reise durch ihren Wahlkreis in den ländlichen und ökonomisch abgehängten Blue Ridge Mountains in North Carolina habe sie das in folgenden Worten ausgedrückt: „I call them the most expensive universities in the country.” Sie sei für ihre konservativen Ansichten ebenso bekannt wie für ihre unverblümte Art und ihre Herangehensweise an die derzeitigen Aufgaben im Ausschuss sei nach ihren Worten stark in persönlichen Erfahrungen verwurzelt. In den Jahren ihrer Amtszeit habe sie immer wieder ihre Lebensgeschichte erzählt: Sie sei in einer dünn besiedelten ländlichen Gegend aufgewachsen, in einem Haus ohne fließendes Wasser und Strom. Sie und ihr Bruder Butch hätten das Trinkwasser aus einer Quelle holen müssen und es gab nicht einmal ein Plumpsklo. Es heißt: „So ’we went to the woods’, she recalled.”
Sie habe sich über die Schritte Junior College, State College und Graduate School hochgearbeitet, schließlich an der University of North Carolina promoviert, sei Präsidentin eines Community College geworden und habe eine Doppelkarriere in Politik und Bildung eingeschlagen. Mit Blick auf das derzeit vorherrschende Thema an einigen Hochschulen heißt es: „It is her religious beliefs and identification with the underdog, she said, that inform how she is dealing with the bitter campus protests over the Israel-Hamas war. ‘The people here believe that the Jews are God’s chosen people, and I grew up in the Baptist Church believing that‘, she said.” Als es im vergangenen Herbst zu Meldungen über zunehmenden Antisemitismus an prominenten Universitäten gekommen sei, habe sie sich entschlossen, die Einrichtungen mal genauer unter die Lupe zu nehmen, von denen sich die meisten ihrer Wähler nicht vorstellen könnten, sie jemals zu besuchen. Es heißt weiter: „‘It was unconscionable what was happening,” she said. “Students were unsafe, and the administration was doing nothing to help them‘.”
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Ein Beitrag widmet sich in der New York Times mit Versuchen an öffentlich finanzierten Hochschulen, trotz Verbote durch die Geldgeber in republikanisch regierten Bundesstaaten die Funktionen von Bemühungen um Diversity, Equity and Inclusion (DEI) weiterhin sicherzustellen. Man habe dazu die betreffenden Hochschuleinrichtungen in etwas umbenannt, das weniger verdächtig aussähe und DEI nicht enthalte. Es heißt: „At the University of Tennessee, the campus D.E.I. program is now called the Division of Access and Engagement. Louisiana State University also rebranded its diversity office after Jeff Landry, a Trump-backed Republican, was elected governor last fall. Its Division of Inclusion, Civil Rights and Title IX is now called the Division of Engagement, Civil Rights and Title IX. And at the University of Oklahoma, the diversity office is now the Division of Access and Opportunity.“
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Ein Beitrag in Science berichtet über eine derzeit in Florida anhängige Klage der Chinese American Legal Defense Alliance (CALDA) gegen ein neues Gesetz, das den zwölf öffentlich finanzierten Hochschulen im Bundesstaat die Anstellung von Promovierenden und Postdocs aus „countries of concern“ ohne eine besondere Genehmigung untersage. Die Klägerin argumentiere, dass das Gesetz vor allem gegen Chines*innen diskriminiere. Es heißt zur auch von der American Civil Liberties Union (ALU) in Florida unterstützte Klage: „The law violates the U.S. Constitution, is discriminatory, and ignores the federal government’s overarching authority on immigration and employment practices.”
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Für zahlreiche Hochschulen ist ihre jeweilige Football-Mannschaft ein wichtiges Identifikationssymbol und für einige Hochschulen ist die Teilnahme an den nationalen Wettbewerben der Football-Mannschaften durchaus profitabel. Der Chronicle of Higher Education geht in einem Beitrag der Frage nach, ob sich die Gründung einer Football-Abteilung für eine Hochschule lohnen könnte, die nicht bereits in einer der sehr medienpräsenten Ligen mitspielt. Im Falle der University of West Florida, die den Versuch Mitte der 1980er Jahre unternommen habe, hätte sich der Versuch durchaus gelohnt, doch diesen Erfolg zu replizieren, bemühten sich seither verschiedenste Hochschulen mehr oder weniger vergeblich. Es heißt: „New research, published Wednesday in the journal Research in Higher Education, shows that tangible benefits from adding football are hard to find. Colleges that added football in the last two decades did not see the long-term benefits they may have sought, such as sustained higher enrollment, more tuition revenue, and growth in their male and Black student populations, the study found. The paper’s authors noted at least one short-term benefit – growth in enrollment – but it was limited beyond the first year.“
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Sie finden die zitierte Untersuchung hier.
Inside Higher Education meldet die zeitweilige Verhaftung einer Professorin an Cornell University wegen „disorderly conduct“ bei einer von Ann Coulter geleiteten Veranstaltung auf dem Campus der Hochschule. Frau Coulter, wegen ihrer konservativen bis reaktionären Ansichten umstritten, habe einen Vortrag zu einem ihrer Lieblingsthemen und mit dem Titel „Immigration: The Conspiracy To End America“ abgehalten. Die Kommunikationsprofessorin Monica Cornejo habe sie als „Rassistin“ bezeichnet, woraufhin Coulter die Ordnungskräfte um die Entfernung von Cornejo aus der Veranstaltung gebeten habe.
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