Dieser Newsletter informiert deutschsprachige Leser über aktuelle Entwicklungen und Trends im Hochschulwesen der USA und Kanada.
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Die Themen dieser Woche:
- Das Ende der „Open Doors“?
- Covid-19 und Hochschulen
- Aktuelle Krise und längerfristige Entwicklungen
- „Responsibility-Centered Management“ (RCM): Streit um das Wesen von Hochschule
- Kurznachrichten
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Liebe Leserinnen und Leser,
in dieser Ausgabe befassen wir uns mit derzeit von der US-Regierung vor allem im Hinblick auf China unternommenen Bemühungen, die internationale Offenheit der US-amerikanischen Studien- und Forschungslandschaft im Dienste vermuteter Sicherheits- und Arbeitsmarktinteressen einzuschränken, und weiterhin mit Nachrichten im direkten Kontext von Covid-19. Wir werfen zudem einen Blick auf den derzeit wieder stärker schwelenden Streit um das Wesen von Hochschulen und schließlich auf verschiedene Kurznachrichten.
Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre, Gesundheit, Geduld und Zuversicht.
Stefan Altevogt
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Das Ende der „Open Doors“?
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Der Jahresbericht des Institute of International Education (IIE) zur Internationalisierung US-amerikanischer Hochschulen hat den Titel „Open Doors“, was – so kurz wie mit drei Silben möglich – ein über Jahrzehnte gültiges Credo der hiesigen Hochschullandschaft wiedergibt: Sei international Spitze und halte die Grenzen offen, dann brauchst Du Dir weder über die Versorgung des Landes mit Talent, noch über internationale Deckungsbeiträge zur Finanzierung einer (in den Spitzen) sehr teuren Hochschullandschaft Sorgen zu machen. In der Presseerklärung zur jüngsten Ausgabe von Open Doors kamen beide Aspekte mit den Worten zum Ausdruck: „According to data from the U.S. Department of Commerce, international students contributed $44.7 billion to the U.S. economy in 2018. (…) 51.6 percent of international students in the United States pursued STEM fields in 2018/19 and the number of international students in Math and Computer Science programs grew by 9.4 percent (…). Engineering remained the largest academic field for international students in 2018/19, with 21.1 percent of all international students.“
Sie finden die Presseerklärung
hier
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Aus den Zahlen geht auch hervor, dass die noch unter der Obama-Administration eingeführte Verlängerung des Optional Practical Training (OPT) von einem auf drei Jahre für Absolventen in Fächern der STEM-Kategorien „Science, Technology, Engineering and Math” dazu geführt hat, dass sich mittlerweile fast 225.000 internationale Studierende in den USA im OPT, also einem Berufspraktikum im Anschluss an das Studium, befinden. Das Wachstum betrug hier zuletzt fast 10%. Weil OPTs mit zu den internationalen Studierenden gezählt werden, sahen auch die IIE-Zahlen zuletzt noch o.k. aus, obwohl es sowohl in den Undergraduate Studiengängen (- 2,4%), als auch in den Graduate Studiengängen (- 1,3%) Rückgänge gegeben hat.
Nun ist das OPT (womöglich eher zufällig) mit in das Fadenkreuz der Trump-Administration geraten, wie es in einer Presidential Proclamation am 29. Mai in Umrissen erkennbar wurde. Es geht hier vor allem um die als akut von China bedroht wahrgenommenen Sicherheitsinteressen der USA und der Rolle von internationalen Studierenden als „non-traditional collectors of intelligence” darin (dazu später). Beim OPT ist das Argument allerdings ein anderes, nämlich, dass die dort beschäftigten internationalen Absolventen US-amerikanischer Hochschulprogramme US-Amerikanern die Arbeitsplätze wegnehmen würden.
Mit diesem Argument setzt sich auch das Schreiben der mehr als 450 Hochschulpräsidenten umfassenden President’s Alliance on Higher Education and Immigration an Trump auseinander, in dem es mit Datum 4. Juni heißt: „Importantly, OPT does not threaten American jobs and actually serves as a boon to U.S. employers. According to the Niskanen Center, experiential learning opportunities like OPT lead to increased innovation and higher average earnings, without costing U.S. workers their jobs or decreasing U.S. worker wages.”
Sie finden das Schreiben
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Im Mittelpunkt des Schreibens steht allerdings die internationale Wettbewerbsfähigkeit der USA als einer wissensbasierten Erwerbsgesellschaft, die dringend darauf angewiesen sei, dass Talent aus der ganzen Welt weiterhin ungehindert durch die Open Doors ins Land strömen, studieren und nach Studienabschluss auch noch eine Weile berufspraktische Erfahren sammeln könne. Das OPT sei dabei in seiner gegenwärtigen Form ein wichtiger Entscheidungsgrund für die USA und müsse daher erhalten bleiben.
In die gleiche Kerbe schlägt auch ein Brief einer Reihe von republikanischen Kongressabgeordneten an Außenminister Mike Pompeo und Heimatschutzminister Chad Wolf, der wie folgt argumentiert: „As countries like Canada, the United Kingdom, China and Australia bolster immigration policies to attract and retain international students, the last thing our nation should do in this area is make ourselves less competitive by weakening OPT. The program is essential to the many international students who desire not just to study in the U.S. but also have a post completion training experience.”
Sie finden das Schreiben
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Länger schon als die OPT-Debatte schwelt der Streit um Nutzen und Risiken der Open Doors im Hinblick auf das mittlerweile als bedrohende Konkurrenz wahrgenommene Verhältnis zu China. Hier hatte es in der jüngeren Vergangenheit vor allem wegen des chinesischen Thousand Talent Plan (TTP) bereits zum Teil spektakuläre Meldungen gegeben, wie etwa die Verhaftung des Chairs des Chemical Department von Harvard durch das FBI (wir berichteten).
Nun enthielt die Presidential Proclamation vom 29. Mai auch die Absichtserklärung, chinesischen Studierenden von Hochschulen mit Verbindungen zur People’s Liberation Army (PLA), also zum chinesischen Militär, keine Visa mehr zu erteilen und bestehende Visa zu widerrufen, wobei die Definitionsmacht zur Frage, welche Hochschulen das sein sollen, laut einem Beitrag auf Inside Higher Education dem Außenministerium übertragen werden solle. Die Grenzziehung zwischen „normalen“ chinesischen Hochschulen und solchen mit Verbindungen zur PLA sei wohl schwieriger als man sich das wünschen würde. Hierzu wird Alex Joske vom Australian Strategic Policy Institute (Herausgeber einer für die Entwicklung in den USA folgenreichen Untersuchung mit dem Titel „Picking flowers, making honey“) mit den Worten zitiert: „PLA and the ‘7 Sons of National Defense‘ [Northwestern Polytechnical University, Harbin Engineering University, Beijing Institute of Technology, Harbin Institute of Technology, Beihang University, Nanjing University of Aeronautics and Astronautics, and Nanjing University of Science and Technology] are easy. But what about Tsinghua? It’s China’s leading engineering university but also involved in military work.”
Sie finden den Beitrag
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Sie finden „Picking flowers, making honey“
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Ein Beitrag des American Institute of Physics (AIP) wirft einen Blick auf die treibenden Kräfte hinter der sich verschärfenden Abgrenzung der US-Forschungslandschaft gegenüber China. Es heißt: „The new policy drew quick praise from Sen. Tom Cotton (R-AR), who noted it echoes a bill he and five other Republican senators introduced one year ago. Now, Cotton is advocating much stricter measures through a new bill that would bar most Chinese nationals from obtaining visas for graduate study or postdoctoral work in any STEM field, as well as from receiving any funds from federal research grants.” Cotton habe gemeinsam mit der republikanischen Senatorin Marsha Blackburn und dem republikanischen Abgeordneten David Kustoff am 27. Mai einen entsprechenden Gesetzesentwurf mit dem Titel „SECURE CAMPUS Act“ eingebracht, der allerdings nicht überall auf Gegenliebe stoße und laut AIP wohl auch keine reellen Chancen auf Umsetzung habe.
Sie finden diesen Beitrag
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Die wissenschaftlichen Fachgesellschaften der USA sprechen sich gegen eine Schließung der Open Doors aus. So veröffentlichte zum Beispiel die American Society for Biochemistry and Molecular Biology (ASBMB) gleich am 28. Mai eine Erklärung zum SECURE CAMPUS Act, in der es unter anderem heißt: „The U.S. depends greatly on talented and skilled graduate students and postdoctoral researchers from all parts of the world, including China. This legislation, if passed, would erode the collaborative nature of scientific research that yields new discoveries and medicines at a time when we need them the most.”
Sie finden die Stellungnahme
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Ein Beitrag fragt im Chronicle of Higher Education, ob sich die Frage nach einer Rückkehr des Hochschulbetriebs in den USA zur „Normalität“ im Herbst als Streitgegenstand zwischen den beiden politischen Parteien eigne, und stellt immerhin eine Korrelation zwischen Wahlverhalten und Wunsch fest, so bald als möglich zur Normalität zurückzufinden. In Bundesstaaten, in denen Trump 2016 vorne lag, planten 80% der Hochschulen für den Herbst traditionellen Unterricht, in Bundesstaaten, in denen Clinton gewann, seien es nur 45%.
Sie finden den Beitrag
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In einem Beitrag auf Inside Higher Education skizziert Lia Paradis, Geschichtsprofessorin an der Slippery Rock University of Pennsylvania, eine lesenswerte Dystopie des Alltags an einer Hochschule im kommenden Herbst. Studierende bevorzugten danach mit weit überwiegender Mehrheit traditionellen Unterricht, traditioneller Unterricht könne wegen der Hygienevorschriften nur bei drastischer Reduzierung der Kapazitäten erteilt werden, was wiederum zu erheblicher Mehrbelastung der Lehrenden führe.
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CBC meldet die Entscheidung der Provinzregierung im kanadischen Alberta, wegen Covid-19 die Einführung einer geplanten leistungsabhängigen Mittelzuweisung um mindestens ein Jahr zu verschieben. Es heißt: „The COVID-19 pandemic has introduced too much uncertainty around post-secondary enrolment for the coming academic year to immediately proceed with a new funding model, [Alberta’s Advanced Education Minister] Demetrios Nicolaides said in a Monday interview.”
Sie finden die Meldung
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Ein Beitrag in The Star bestätigt die bereits oft gehegte Vermutung, dass ein virtuelles Studium an einer kanadischen Hochschule für internationale Studierende nicht ausreichend attraktiv sein würde. Es heißt an Hand eines laut Beitrag typischen Beispiels: „Ijaz Ashraf is from Pakistan and has been accepted at Concordia University to do a master’s degree in industrial engineering. He said he will likely defer enrolment because he’s not satisfied with online classes and wants to experience campus life.”
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„Responsibility-Centered Management“ (RCM): Streit um das Wesen von Hochschule
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In einem Beitrag für den Chronicle of Higher Education fragt Rebecca Kolins Givan, Professorin für Arbeitsverhältnisse an Rutgers University und dort auch Vizepräsidentin der American Association of University Professors, ob der gegenwärtige auf den Hochschulen lastende enorme finanzielle Druck nicht zu einer endgültigen Abkehr von der eigentlichen Idee von Hochschule führen würde und damit zur Durchsetzung von der Vorstellung, Hochschulen seien Großunternehmen, deren einzelnen Teile entsprechende Beiträge zum wirtschaftlichen Gelingen des Ganzen leisten müssten.
Der Beitrag führt den Leser in das Konzept von „Responsibility-Centered Management“ (RCM) ein, das in den vergangenen Jahrzehnten in den USA scheinbar unvermeidlich gewordene Verwaltungsprinzip von Hochschulen. Sie beschreibt es mit den Worten: „Units and activities of the university – colleges, research centers, academic departments – are classified as ‘responsibility centers’, each required to generate sufficient revenue to cover its expenses. They do this primarily through enrollment, creating a strong incentive to offer large, broadly appealing courses with minimal workloads and maximal grades.” Andere Aspekte der Hochschule – etwa Bibliotheken und Beratungseinrichtungen – würden als „Kostenfaktoren” klassifiziert, die nicht zentral für die Hochschulaufgabe seien und im Bedarfsfall ebenso gestrichen werden könnten, wie „underperforming departments” oder Kurse.
Man sei schon viel zu lange auf dem RCM-Pfad, Covid-19 habe den Gang noch einmal beschleunigt und man müsse sich die Frage stellen, ob das, was dann am Ende dieses Prozesse übrig bliebe, noch den Namen „Universität” verdiene. Die Autorin ist das eher skeptisch und schreibt: „If the university completes its transformation into whatever the spreadsheets and analytics tell it to be, if its mission is reduced to work-force-training and extracting tuition from students (who will work for years to pay off the debt they took on for the privilege), then continuing to call such institutions ‘universities’ will be a cruel joke.”
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Der Chronicle of Higher Education meldet die Entscheidung des Hochschulrats des University of Alaska Systems, angesichts der schwindenden Einschreibungszahlen 39 Departments im System zu schließen und bei fünf weiteren Einschnitte bzw. Zusammenlegungen durchzuführen. Als Reaktion auf fehlende $25 Mio. im Haushalt des gut 25.000 Studierende betreuenden Systems würden Angebote wie Soziologie, kreatives Schreiben, Theaterwissenschaft, Umweltstudien und Geografie gestrichen, was auf der einen Seite Einsparungen in Höhe von knapp $4 Mio. verspräche, auf der anderen Seite aber auch die University of Alaska zu einem fragwürdigen Alleinstellungsmerkmal verhelfen würde: einziges öffentlich finanziertes Hochschulsystem in den USA ohne Soziologie-Department.
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Inside Higher Education meldet einen rasch wachsenden Chor mit Forderungen an Leitungen von US-Hochschulen, ihre Verbindungen zur lokalen Polizei zu überprüfen und Campus-eigene Polizeiorganisationen aufzulösen. Es heißt: „Student organizations, workers’ unions and individual activists at dozens of universities are calling on administrations to cut ties with local police or disband campus police departments, saying that policing institutions enact violence upon black people and uphold white supremacy. College administrations for the most part have resisted calls to end relationships with local municipal police forces, instead making promises to reform training practices and decrease the need for police presence on campus.”
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Die Royal Bank of Canada hat ein Paper mit dem Titel „The Future of Post-Secondary Education: On Campus, Online and On Demand” herausgegeben, das Covid-19 als Auslöser einer Entwicklung beschreibt, in deren Verlauf sich die kanadische Hochschullandschaft in einem zunehmend international durchgeführten Wettbewerb werde behaupten müssen. Es heißt: „Nearly every post-secondary institution on the planet has just made significant investments in online tools and methods. For Canada to remain a global education leader that continues to attract the world’s brightest, our institutions will need to differentiate themselves. This starts with cultivating the scale needed to make online leaning profitable; collaborations across the sector could give students more choices and specializations. The next step requires an inclusive approach to alternative learning – either experiential learning or micro-credentials – that gives students flexibility in how and where they obtain academic credits. At the same time, educators will need to integrate the tools of augmented reality and machine learning to personalize education.”
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