12.10.2020
Nordamerika Nachrichten
Dieser Newsletter informiert deutschsprachige Leser über aktuelle Entwicklungen und Trends im Hochschulwesen der USA und Kanada.
Die Themen dieser Woche:

  • Covid-19 und Hochschulen
  • Wahlkampf, Patriotismus, Diversity und eine Executive Order des US-Präsidenten
  • Der Fall Charles Lieber
  • Kurznachrichten
Liebe Leserinnen und Leser,

in dieser Ausgabe befassen wir uns weiterhin mit dem Thema Covid-19 und Hochschulen und mit den Auswirkungen einer Executive Order des US-Präsidenten auf Bildungs- und Forschungseinrichtungen des Landes. Wir werfen zudem einen Blick auf den Fall des Chair des Chemistry Departments an Harvard University, Charles Lieber, und schließlich auf verschiedene Kurznachrichten der Woche.

Ich wünsche Ihnen wie immer eine interessante Lektüre und in diesen Wochen zudem Gesundheit, Geduld und Zuversicht.

Stefan Altevogt
Covid-19 und Hochschulen
Der „Case Tracker“ der New York Times zählt derzeit knapp 180.000 Fälle von Covid-19-Infektionen an mehr als 1.400 US-amerikanischen Hochschulen und schreibt: „Most of the cases have been announced since students returned to campus for the fall term. Most of the deaths were reported in the spring and involved college employees, not students. But at least two students – Jamain Stephens, a football player at California University of Pennsylvania, and Chad Dorrill, a sophomore at Appalachian State – have died in recent weeks after contracting the virus.” Auf den beiden Spitzenplätzen liegen derzeit die University of Georgia und Clemson University mit 3.900 bzw. 3.800 Infektionsfällen.

Sie finden den Tracker hier.

Ein Beitrag des Chronicle of Higher Education befasst sich mit den wirtschaftlichen Prognosen für die US-amerikanische Hochschullandschaft im kommenden Jahr und gibt der Befürchtung Ausdruck, dass 2021 noch verheerendere Auswirkungen entfalten könne als das derzeitige Jahr. Der Beitrag nennt dazu einige Kennzahlen, etwa die fast 340.000 Stellen, die laut Bureau of Labor Statistics bereits in diesem Jahr an den Hochschulen hätten eingespart werden müssen, oder auch die Prognosen zur Entwicklung bundesstaatlicher Steueraufkommen, aus denen öffentliche Hochschulen grundfinanziert würden. Hierzu heißt es: „The Urban Institute estimates that state revenues will fall by as much as $200 billion by end of the 2021 fiscal year.”

Sie finden den Beitrag hier.

CBC meldet Bemühungen von Hochschulen an der kanadischen Atlantikküste, Studierende für die Feiertage um das kanadische Thanksgiving-Fest (am zweiten Montag im Oktober und nicht, wie in den USA, am vierten Donnerstag im November) auf dem Campus zu behalten und nicht zu ihren Familien reisen zu lassen. An St. Francis Xavier University in Antigonish in der Provinz Novia Scotia, wo man mit viel Aufwand die Studierenden zum Herbstsemester an den Campus zurückgeholt habe, würden etwa zahlreiche Aktivitäten geplant. Es heißt: „That includes movie marathons, sporting events on big screens and an outing to a local outdoor recreation complex for hiking, mountain biking and other activities. A Thanksgiving dinner is also part of the plan as well as non-traditional festivities.”

Sie finden die Meldung hier.

Globe and Mail meldet die Entwicklung eines „Frühwarnsystems“ für Corona-Infektionen an der University of Guelph, wo man im Abwasser nach Spuren des Virus fahnde, um bereits auf Infektionsfälle aufmerksam zu werden, bevor sich Symptome bei den Betroffenen zeigten. So könnten Infektionsherde schneller erkannt und Eindämmungsmaßnahmen früher eingeleitet werden. Es heißt: „The university said it believes the project is the first of its kind on a Canadian campus, and could have applications at the broader neighbourhood or population level.”

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Colleges & Institutes Canada meldet eine Entscheidung der kanadischen Einwanderungsbehörden, der zufolge ab 20. Oktober die Einreisebestimmungen für internationale Studierende nach Kanada dahingehend lockern werde, dass Einreisen zur Studienaufnahme an einer akkreditierten Einrichtung mit einem anerkannten „COVID-19 readiness plan“ unabhängig von der Herkunftsregion gestattet würden. Es heißt: „This announcement is an extremely positive development for colleges and institutes across Canada and reflects our collective efforts to prepare and plan for the safe arrival of international students.”

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Wahlkampf, Patriotismus, Diversity und eine Executive Order des US-Präsidenten
Am 22. September hat das Weiße Haus mit „Executive Order on Combating Race and Sex Stereotyping” eine Verfügung des US-Präsidenten veröffentlicht, die angesichts eines hart geführten Wahlkampfs an patriotische Gefühle von Wählern appelliert und argumentiert, dass gerade Forderungen nach Maßnahmen für eine gerechtere Gesellschaft für alle Schichten das Land spalteten und ein Versprechen der Verfassung gefährde, dem auch Martin Luther King in seiner berühmt gewordenen Rede vor 57 Jahren nachträumte. Dieser Traum, so der Präsident, sei derzeit akut durch eine „destructive“ bzw. „malign“ Ideologie gefährdet, die ein anderes Bild der USA zeichne, „a vision of America that is grounded in hierarchies based on collective social and political identities rather than in the inherent and equal dignity of every person as an individual.” Dem dürfe man keinen Vorschub dadurch leisten, dass Aufklärungsmaßnahmen zu möglichen Ursachen von Benachteiligung unternommen würden. Daher verfüge der Präsident, dass keine Bundesmittel mehr an Einrichtungen gehen dürften, die eine verbesserte Inklusion mit besonderen Aus- und Fortbildungsprogrammen anstrebten.

Sie finden die Executive Order hier.

Die New York Times meldete Anfang Oktober, dass das Justizministerium angesichts der Executive Order seine Programme zu „Diversity and Inclusion Training“ eingestellt hätte, und schreibt: „The move was the latest effort by the Trump administration to eliminate any training that encourages workers to acknowledge that implicit racial and gender biases exist in the workplace.”

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Inside Higher Education meldet erste Reaktionen von Hochschulen auf die Executive Order und zitiert aus einem Campus Memo der University of Iowa die Worte: „Let us state unequivocally that diversity, equity and inclusion remain as core values within our institution. After consulting with multiple entities, and given the seriousness of the penalties for non-compliance with the order, which include the loss of federal funding, we are recommending that all units temporarily pause [diversity, equity and inclusion programs] for a two-week period.” Das Logan College in Illinois habe sogar ein Podiumsgespräch im Rahmen des Hispanic Heritage Month abgesagt, um nicht in den Verdacht zu geraten, gegen Bestimmungen der Verfügung zu verstoßen.
Auf der anderen Seite zitiert die Meldung aber auch eine standhafte Erklärung des Präsidenten der University of Michigan, in der es heißt: „We are dismayed by an executive order that is a direct violation of our right to free speech and has the potential to undermine serious efforts to acknowledge and address long-standing racist practices that fail to account for disparate treatment of our citizens throughout our society. The university will continue to examine the implications of this order and speak out against it.”

Sie finden diese Meldung hier.
Sie finden die zitierte Erklärung hier.

Ein Beitrag des Chronicle of Higher Education befasst sich mit Bemühungen der Hochschulen, der US-Regierung keinen Anlass zu geben, Mittel wegen Verstoßes gegen die Executive Order (EO) einzubehalten. Entsprechend intensiv sei derzeit die Suche nach möglichen Anhaltspunkten für entsprechende Verstöße in den Diversity-Programmen der Einrichtungen, man sei aber zunächst vor allem darum bemüht, allenfalls dem Wortlaut der EO zu entsprechen, ohne dabei auf wesentliche Inhalte der Diversity-Programme zu verzichten.
Neben einem hinhaltenden Widerstand gegen die EO gäbe es auch an einigen Stellen direktere Signale, die ein Mitarbeiter eines juristischen Hochschulberatungsunternehmens mit den Worten beschreibt: „Four or five of the presidents we have talked with have determined they absolutely will not comply, no matter what, and will fight the EO and organize other universities to do so. This kind of defiance is admirable and, if it catches on, may prove to be a real headache for the thought police in D.C.”

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Laut Selma Lagerlöf ist die Nacht am dunkelsten kurz vor der Morgendämmerung.
Der Fall Charles Lieber
Ein Beitrag in der New York Times widmet sich Charles M. Lieber, dem Ende Januar unter (jedenfalls für den Chair eines Departments an Harvard University) spektakulären Umständen verhafteten Chemikers, dem das Justizministerium vorwirft, für das Thousand Talents Program der chinesischen Regierung gearbeitet und die US-Behörden und seine Hochschule darüber im Unklaren gelassen zu haben.
Anlass des Beitrags ist allerdings nicht ein neuer Stand im laufenden Verfahren gegen Lieber, sondern seine jüngst eingereichte Klage gegen Harvard University, der er vorwerfe, sich weder schützend vor ihn zu stellen, noch sich an den Kosten seiner Verteidigung gegen die vom Justizministerium vorgebrachten Vorwürfe zu beteiligen. Lieber habe bezüglich der Intensität, mit der er sich gegen die Vorwürfe verteidige, eine besondere Rolle, denn: „Unlike other scientists targeted by the initiative – many of them Chinese graduate students and researchers working in American laboratories – he has pleaded not guilty to the charges. He hired a criminal defense lawyer, Marc L. Mukasey, who last year successfully defended Chief Petty Officer Edward Gallagher, a former Navy SEAL, against murder charges.”
In der nun vorliegenden Klageschrift werfe Lieber Harvard vor, rechtswidrig mit der Bundesanwaltschaft gegen einen Professor zusammenzuarbeiten, der in der Vergangenheit für die Hochschule Drittmittel in zweistelliger Millionenhöhe eingeworben habe und der aktuell unter einer unheilbaren Krankheit leide. Zum erstgenannten Aspekt heißt es im Beitrag: „Derek Adams, a former federal prosecutor who has consulted with universities on similar cases, said universities typically distance themselves from researchers who come under federal investigation because the institutions rely heavily on government grants and because grant submissions are made in the university’s name.” Auch angesichts des Gesundheitszustands von Professor Lieber sei es für eine Hochschule kaum möglich, sich während Ermittlungen der Bundesanwaltschaft und einer daraus folgenden Anklage an die Seite eines verdienten Fakultätsmitglieds zu stellen. Dazu noch einmal Derek Adams: „I’m not saying that the universities throw the professors under the bus. I just think that when you have criminal charges filed, in most cases it makes it impossible for them to continue to stand side by side.”

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Kurznachrichten
Inside Higher Education meldet die Einrichtung eines neuen Residential College an Princeton University, das zum einen das ehemalige Wilson College ersetzen und zum anderen nach Mellody Hobson benannt werden solle, Präsidentin und CEO der Firma Ariel Investment. Die Meldung habe insofern Nachrichtenwert, als Princeton im Juni den Namen des ehemaligen Präsidenten Woodrow Wilson im Zuge landesweiter Proteste gegen vor allem gegen Minderheiten gerichtete Polizeigewalt sowohl von der School of Public and International Affairs als auch von dem nun nach Hobson benannten College der Universität entfernt hätte. Zudem gehöre Mellody Hobson eben zu jenen Minderheiten, für die Hochschulbildung noch nicht so selbstverständlich sei. Sie wird mit den Worten zitiert: „No one from my family had graduated from college when I arrived at Princeton from Chicago, and yet even as I looked up at buildings named after the likes of Rockefeller and Forbes, I felt at home. My hope is that my name will remind future generations of students – especially those who are Black and brown and the ‘firsts’ in their families – that they too belong.”

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Der Chronicle of Higher Education macht in einem Beitrag auf die Ironie in der Tatsache aufmerksam, dass die im Weißen Haus abgehaltene Feier zur Nominierung von Amy Coney Barrett als Nachfolgerin von Ruth Bader Ginsburg im US Supreme Court zu einem „Superspreader Event“ von Menschen habe werden können, die sich selber als die „Pro Life Leadership“ des Landes betrachteten. Ein besonderes Augenmerk des Beitrags gilt dabei dem auch anwesenden und dort mit Covid-19 infizierten Präsidenten der University of Notre Dame, John I. Jenkins, dem moralisches Versagen vorgeworfen wird. Es heißt: „Photos and videos of the event show lots of handshakes, hugs, and even, unbelievably, kisses – as if the participants all had amnesia about the months of grief and deprivation in the face of the homicidal microbes that have killed more than 210,000
Americans and sickened millions. (...) They hailed the nomination of Judge Barrett as their great victory at the intersection of politics and religion. Their behavior was the opposite of favoring life, however, as their flouting of public-health rules invited infection. Pastors going maskless on Saturday can hardly preach about the sanctity of life on Sunday.”

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Simon Fraser University (SFU) erinnerte am 1. Oktober an den „World Coffee Day” und meldete mit Stolz, dass die Hochschule die erste Bildungseinrichtung in Kanada sei, die von Fairtrade Canada and the Canadian Fairtrade Network (CFTN) mit dem Status eines „Fairtrade Gold Campus“ ausgezeichnet worden sei. Es heißt: „SFU has not only changed its procurement policies by committing to serving Fairtrade products like coffee, tea, chocolate, avocados and bananas, but has also encouraged major foodservice companies to serve Fairtrade products. As an example of SFU’s advocacy work, Starbucks introduced Fairtrade espresso at SFU in 2013 – a first for any higher educational institution – and is now served on campuses across the country.”

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CBC meldet einen starken Rückgang des Interesses an Studiengängen der University of Calgary, die mit der Ausbeutung fossiler Brennstoffe in der kanadischen Provinz Alberta in Verbindung stünden, und sieht einen der wesentlichen Treiber dieser Entwicklung die weltweit stark gesunkenen Ölpreise und damit verbunden das starke Nachlassen des Interesses am nur sehr aufwändig zu produzierenden Öl und Gas aus Alberta. Es heißt: „Figures from the University of Calgary show the number of undergraduates focusing on petroleum geology or oil-and-gas engineering have dropped significantly since the downturn hit the sector roughly five years ago. (...) The number of undergraduate students enrolled with a concentration in petroleum geology declined from 138 in the fall of 2015 to 13 in fall of 2019. That’s a drop of nearly 91 per cent. The ranks of undergrads with a concentration in oil and gas engineering are also down, he noted, dropping from 171 to 39 over the same period, or a decline of 77 per cent.”

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