Dieser Newsletter informiert deutschsprachige Leser über aktuelle Entwicklungen und Trends im Hochschulwesen der USA und Kanada.
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Die Themen dieser Woche:
- MOOCs und virtuelle Unterrichtsformate
- Argumente zum Umgang mit Studienschulden
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Liebe Leserinnen und Leser,
wir nehmen heute erstmals seit einer gefühlten Ewigkeit den Komplex „Covid-19 und Hochschulen“ mit in die vermischten Nachrichten am Schluss und hoffen, dass sie irgendwann in den kommenden Monaten auch dort nicht mehr werden auftauchen müssen. Wir befassen uns also in dieser Ausgabe mit einem kurzen Abriss der Geschichte des Tenure-Modells an US-Hochschulen und mit MOOCs und infolge von Covid-19 notgedrungen eingeführten virtuellen Unterrichtsformaten. Wir werfen zudem einen Blick auf Argumente zum Umgang mit Studienschulden in den USA und wie immer auf verschiedene Kurznachrichten.
Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre, Gesundheit, Geduld und Zuversicht.
Stefan Altevogt
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Ein Beitrag im Chronicle of Higher Education befasst sich mit der jüngeren Entwicklung des Tenure-Modells an US-Hochschulen und zeichnet nach: „In the 1970s (...) nearly 60 percent of academics working in the sector were tenured or on the tenure track; today, only about a third are granted those coveted positions, as higher education relies more on part-time instructors and underpaid adjuncts.” Verschlimmernd hinzugekommen sei die Anwendung des 1986 erlassenen „Age Discrimination in Employment Act“ an den Hochschulen seit 1993 und der damit verbundenen Aufhebung eines „mandatory retirements“, wodurch entfristete Professoren deutlich länger in ihren Positionen bleiben können.
Der Beitrag skizziert dann die etwas längere Geschichte des Tenure-Modells an US-Hochschulen von ihren Anfängen in den späten 1800ern und frühen 1900ern an Stanford, Harvard, Princeton und die University of Chicago, über die Einführung von standardisierten Rahmenbedingungen durch die American Association of University Professors (AAUP) in den 1940ern, bis hin zu einer flächendeckenden Verbreitung als akademischer Standard in den 1950ern. Begünstigt wurde diese Standardisierung dabei durch die drastische Ausweitung des Hochschulsystems insgesamt. Es heißt: „In the decades that followed, enrollments continued to surge at existing college campuses, and new institutions opened to hire faculty members and take in students. In A History of American Higher Education (Johns Hopkins University Press, 2004), John R. Thelin, a leading historian of the sector and a professor at the University of Kentucky, shows that the institution of tenure was cemented in higher ed’s golden era in the United States.”
In dieser goldenen Ära sei das Verständnis entstanden, Tenure sei die Norm, doch bliebe dieses Verständnis, so nachvollziehbar es auch sei, ein Missverständnis, denn: „By its very nature, tenure is about research. It’s difficult to make it about teaching.” Durch permanente Versuche in diese Richtung würden allerdings die Anreize stark forschungsbezogen und damit weg von der Lehre gedrängt, was nach Meinung vieler Fachleute aus der Perspektive des sozialen Nutzens der Hochschulen falsch oder zu mindestens nicht richtig sei. Einen Ausweg aus diesem Dilemma könnten möglicherweise andere Formen langfristiger Verträge an Hochschulen bieten oder auch die gewerkschaftliche Organisation von Professoren.
Man solle allerdings im Auge behalten: „Any system of providing protections for scholars is going to have its advantages and drawbacks for both sides”, zumal sich derzeit die ökonomischen Ungunst-Faktoren für die Hochschulen (Schulden, demografische Faktoren, Beseitigung der Folgen von Covid-19 etc.) auftürmten und an einigen Einrichtungen bereits Kündigungen auch unbefristeter Professoren infolge von Kürzungen der Programmangebote oder Schließungen ganzer Departments vorgenommen worden seien. Insgesamt keine guten Aussichten für das Tenure-Modell an den allermeisten der US-amerikanischen Hochschulen.
Sie finden den Beitrag hier.
Der Beitrag zitiert ein Paper des National Bureau of Economic Research (NBER) zum vermeintlichen Zusammenhang zwischen der Einführung des Tenure-Modells an US-Hochschulen und deren Erscheinen an der Weltspitze der Forschungshochschulen. Entgegen landläufiger Meinung, dass die weltweite Prominenz der US-Hochschulen eine Folge des Zweiten Weltkriegs und mithin auch der Einführung des Tenure-Modells als akademischem Standard gewesen sei, arbeitet das Paper heraus: „We present evidence that U.S. research universities had surpassed most countries’ decades before WWII. An explanation of their dominance must therefore begin earlier. The one we offer highlights reforms that began after the Civil War and enhanced the incentives and resources the system directs at research. Our story is not one of success by design, but rather of competition leading American colleges to begin to care about research.” Damit seien Differenzierungsmechanismen in Gang gesetzt worden, mithilfe derer sich Talent und Ressourcen an einigen wenigen Hochschulen konzentriert hätten. Das Tenure-System an diesen zu Elite-Einrichtungen gewordenen Hochschulen habe das dann noch unterstützt, sei aber nicht ursächlich für die Elitenbildung gewesen. Ein Schaubild im Paper zeigt, dass der Zeitpunkt, zu dem US-amerikanische Einrichtungen häufiger Erwähnung in den Biografien von Nobelpreisträgern fanden als deutsche Hochschulen, deutlich vor 1925 liegt.
Sie finden das Paper hier.
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MOOCs und virtuelle Unterrichtsformate
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Inside Higher Education meldet den geplanten Börsengang der Firma Coursera, einem der wichtigen Anbieter von Massive Open Online Courses (MOOCs), und schreibt: „The company is losing money, but it might be finding a way to monetize MOOCs.” Die Firma habe an der New York Stock Exchange jetzt ein „initial public offering (IPO)“ unter dem Ticker-Symbol COUR beantragt und sie müsse, um Investoren zu überzeugen, Ertragspläne entwerfen und Umsatz- und Gewinnzahlen der jüngeren Vergangenheit veröffentlichen. Letztere sähen derzeit nicht allzu rosig aus: „Documents filed with the SEC [United States Securities and Exchange Commission] show Coursera posted revenue of $293.5 million in 2020 – a growth rate of 59 percent over 2019. But the company did not turn a profit, reporting a net loss of $67 million in 2020. Coursera lost more money in 2020 than it did in 2019, when it lost $46.7 million. The company’s accumulated deficit since inception stood at $343.6 million at the end of 2020. Its IPO filing indicated it expects to incur losses for the foreseeable future.”
Aber gerade angesichts der massiven Veränderungen von Hochschulbildung während Covid-19 schätze man bei Coursera derzeit die ökonomischen Potenziale für ihre Produkte sehr hoch ein. Andrew Ng, Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender von Coursera, wird dazu mit den Worten zitiert: „We’ve seen billions struggle during the pandemic. At school, many learners and instructors were ill-prepared to move learning online. At work, digital acceleration is threatening many jobs as skills rapidly become obsolete. The staggering scale of disruption has underscored the need to modernize the global education system. Leaders tasked with creating a level playing field now recognize that learning online will be a powerful means of providing individuals with the skills they need and promoting social equity.”
Unter diesen insgesamt günstigen Voraussetzungen sähen die Gewinnpotenziale der Firma bzw. von MOOCs insgesamt dann gar nicht mehr so schlecht aus und sie steckten nicht nur in den bekannten drei „revenue streams“ von Consumer Segment, Business Partnerships und anteiligen Studiengebühren, sondern vor allem in den Datenmengen, die bei elektronischer Bildung anfallen. Trace Urdan, Mitarbeiter einer Investment Bank, wird dazu mit den Worten zitiert: „The company’s OPM [Operating Profit Margin, also da, wo wirklich Geld verdient wird] business is special because Coursera has a ‘gigantic database’ of users. They know not only who is interested in degree programs, but also some information about their competence.”
Sie finden den Beitrag hier.
Ein Beitrag in den kanadischen University Affairs geht der Frage nach, welche Nutzen aus der erzwungenen Übersiedlung des Hochschulbetriebs in den Cyberspace während Covid-19 mit in die hoffentlich baldige Rückkehr zum Normalbetrieb genommen werden könnten. Die Autorin geht dabei von der Annahme aus, dass ein gewisser Teil virtuellen Lernens auch nach Covid-19 erhalten bleiben werde, und sie möchte diese so erfolgreich wie möglich gestalten. Dazu regt sie drei Dinge an, nämlich: „office hours as launch parties, post-assignment debriefs [und] module surveys. (...) [These] efforts will result in higher quality courses that are responsive to student learning and needs. This will no doubt pay off, especially when I teach the same courses again in future semesters – both online and when we (eventually) teach in person again.”
Sie finden diesen Beitrag hier.
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Argumente zum Umgang mit Studienschulden
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In zwei Beiträgen befasst sich die New York Times mit einem Problem, das die Biden-Regierung in nächster Zeit in der ein oder anderen Form wird lösen müssen, nämlich den Umgang mit den sich mittlerweile auf $1,7 Bio. summierenden Schulden von etwa 45 Mio. Studienabsolventen und auch –abbrechern.
In einem Interview mit Sandy Baum, derzeit am Center on Education Data and Policy des Urban Institute, und mit Astra Taylor, der Gründerin einer Organisation, die unter dem Namen Debt Collective für die Stundung aller Studienschulden durch die US-Regierung eintritt, untersucht Jane Coaston für die New York Times die verschiedenen Argumente einer „Entschuldung“ per Federstrich im Hinblick auf ökonomische Sinnhaftigkeit und soziale Gerechtigkeit. Die Schulden, so das Argument für den unmittelbaren ökonomischen Nutzen einer Entschuldung, lasten derart auf den Schuldnern, dass sich bei ihnen ökonomisch wichtige Schritte wie Familiengründung und Hauskauf entsprechend verzögerten, wenn nicht gar unmöglich gemacht würden. Hier funktioniere vor allem in den unteren Schichten des Einkommensspektrums eine Entschuldung ähnlich anderen ökonomischen Stimuli, nämlich durch die Erhöhung der Kaufkraft.
Das soziale Argument beruhe vor allem auf der Feststellung, dass sich Hochschulbildung über die vergangenen Jahrzehnte hinweg für Studierende drastisch verteuert habe und dass sehr viel größere Teile der Bevölkerung an Hochschulbildung partizipierten. Sandy Baum fasst dies in den Worten zusammen: „When I went to college, it was very rare that people whose parents couldn’t pay went to college. You didn’t have older adults going back to college so much. And if you couldn’t afford it, you just didn’t go.” Mit den höheren Studiengebühren einher ginge eine erhebliche Ausweitung der Finanzierungsangebote für Studierende und deren Familien. Im Ergebnis, also angesichts des aufgelaufenen Schuldenbergs, habe sich der Optimismus hinsichtlich der Werthaltigkeit eines auch schuldenfinanzierten Studiums als deutlich überzogen erwiesen.
Astra Taylor erzählt die Geschichte etwas anders, nämlich entlang des schrittweisen aber stetigen Rückzugs der öffentlichen Hand aus der Grundfinanzierung der Hochschulen, in deren Ergebnis Hochschulbildung von einem öffentlich finanzierten zu einem privat finanzierten Gut wurde. Sie sagt: „Actually what’s happened is, we just took a wrong turn by using loans to finance education. There has been (...) a divestment. State investment in education and higher education has diminished, and tuition has filled that gap. And what we’ve done is, we’ve created this very complicated and, I think, very destructive system of lending to fill that gap.”
Zum einen, so der Konsens, solle die öffentliche Hand sich wieder stärker in die Grundfinanzierung von Hochschulen als öffentlicher Infrastruktur einbringen und so die Kosten eines (durchschnittlichen) Hochschulbesuchs absenken. Zum anderen solle der Bund jetzt Studienschulden in der Größenordnung von $10.000 pro Schuldner erlassen, und – um keine regressive Politik zu machen – jedem Bürger $10.000 geben, denn z.B.: „About half of Black adults have never been to college.“
Eine Stundung von Studienschulden, in welcher Größenordnung und unter welchen sozial ausgleichenden Begleitmaßnahmen auch immer, würde allerdings nicht das Wiederauftauchen des Problems von Studienschulden in der Zukunft verhindern und zu dessen Bewältigung müsste sowohl die öffentlichen Investitionen in Hochschulen wieder in die richtige Richtung gehen, als auch praktikablere Wege des Schuldendienstes für ehemalige Studierende gefunden werden. Sandy Baum sagt hierzu: „We are not going to have a successful society unless we figure out how – look at the European countries that have student debt programs that work. They’re income-driven. (...) We can do that. We haven’t chosen to do it, but we can do it, and it will be a long term solution. If we can’t structure good government programs, then we’re in a total mess, because we’re not going to solve any of these problems.”
Sie finden das Interview hier.
In einem op-ed für die New York Times begründet Spencer Bokat-Lindell eine Entschuldung der Schuldner in zwei Dimensionen, nämlich, weil sich zu einen die Schuldner von leicht verfügbarem Geld haben blenden lassen und den Wert des ihres Studiums für ihr ökonomisches Fortkommen deutlich überschätzt hätten, zum anderen, weil Hochschulbildung mittlerweile zum Grundbestand staatlich zur Verfügung gestellter Leistungen zählen sollte und durch einen Hochschulbesuch keine oder wenigstens deutlich geringere Schulden entstehen sollten.
Bemerkenswert an dem Beitrag ist zum einen die Schätzung des Bildungsministeriums, nach der etwa ein Drittel der derzeitigen Studienschuldner nicht in der Lage sein würden, ihre Schulden jemals abzutragen, zum anderen eine Statistik zur Verteilung der Schulden über die fünf Einkommensquintile, nach denen sich weit über die Hälfte der Schulden im obersten (24,2%) und zweitobersten Fünftel (29,7%) der Verteilung konzentrierten und nur zu deutlich geringeren Anteilen im untersten (8%) und zweituntersten (15,5%). Die habe Folgen: „The economic injustice argument tends to invite a lot of debate about how best to tailor cancellation to those who are suffering most from the crisis, which isn’t always the same thing as who has the largest student loan balance.”
Sie finden den Beitrag hier.
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Ein Beitrag auf Inside Higher Education sieht in den derzeitig sehr guten Fortschritten bei der Impfung der US-Bevölkerung gegen Covid-19 einen wichtigen Grund für den Optimismus an Hochschulen, im kommenden Herbstsemester wieder normalen Betrieb gewährleisten zu können. Dies habe nun erheblichen Einfluss auf die Entscheidungen der künftigen Studienbeginner, wo sie sich einschreiben wollten. Es heißt: „After a year of exhausting transitions, students are looking for certainty and normalcy, and promising those things could give institutions a leg up as admitted students decide where to enroll.”
Sie finden den Beitrag hier.
In den „live updates“ zur Bildungspolitik der neuen US-Regierung findet sich die Meldung, dass das National Labor Relations Board (NLRB) nun auf eine Vorschrift verzichten wolle, die es Graduate Students an US-amerikanischen Hochschulen untersagt hätte, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Es heißt im Hinblick auf die Verlässlichkeit der nun geäußerten Haltung: „The announcement is the latest partisan flip-flop on the board’s position, which has changed with every presidential administration for the past 20 years.”
Sie finden die Meldung hier.
Die New York Times meldet die Eröffnung eines Gerichtsverfahrens gegen die Verwaltung der öffentlichen Schulen in New York City, die nach Ansicht der Kläger zu den am meisten segregierten Schulen des Landes gehörten. Im Zentrum der Klage stehe die Praxis, Kinder bereits sehr früh (ab 4 Jahren) in mehr oder weniger anspruchsvolle Leistungskategorien einzuteilen und anschließend entsprechend mehr oder weniger zu fordern und zu fördern. Das erwartbare und – so die Kläger – gewollte Ergebnis: „The city’s gifted and talented classes for elementary school students are about 75 percent white and Asian-American, and there are relatively few gifted programs located in predominantly Black and Latino neighborhoods. White students, who make up just 15 percent of the overall district, are starkly overrepresented in selective middle and high schools.”
Sie finden diese Meldung hier.
Die University of Waterloo meldet den geplanten Einsatz eines an der Hochschule entwickelten, autonomen Transportsystems für die Studierenden auf dem Campus. In der Presseerklärung heißt es: „A self-driving shuttle bus – the first at any academic institution in Canada – could be operating on the Ring Road at the University of Waterloo by the time students return to campus.”
Sie finden die Presserklärung hier.
Die Academica Group meldet in ihrem Nachrichtenüberblick kleinere Infektionsgeschehen an kanadischen Hochschulen. Zum Cambrian College heißt es etwa: „Cambrian College has reported a COVID-19 case in a member of the campus community who had been on campus within the past 14 days.”
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