30.11.2020
Nordamerika Nachrichten
Dieser Newsletter informiert deutschsprachige Leser über aktuelle Entwicklungen und Trends im Hochschulwesen der USA und Kanada.
Die Themen dieser Woche:

  • $435 Mrd. an Abschreibungen bei Studiendarlehen in den USA?
  • Covid-19 und Hochschulen
  • Sein und Schein
  • Kurznachrichten
Liebe Leserinnen und Leser,

in dieser Ausgabe befassen wir uns mit einer Analyse von Schätzungen, denen zufolge die öffentliche Hand in den kommenden Jahren $435 Mrd. der insgesamt derzeit $1,37 Bio. vom Bund gehaltenen Studiendarlehen werde abschreiben müssen, und weiterhin mit dem Thema Covid-19 und Hochschulen. Wir werfen zudem einen Blick auf zwei möglicherweise verwandte Gefühle bei Studierenden und schließlich auf Kurznachrichten.

Ich wünsche Ihnen wie immer eine interessante Lektüre, und in diesen Wochen zudem Gesundheit, Geduld und Zuversicht.


Stefan Altevogt
$435 Mrd. an Abschreibungen bei Studiendarlehen in den USA?
Inside Higher Education befasst sich in dieser Woche mit den möglichen gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der mittlerweile $1,37 Bio. an Bildungsschulden, die Studierende und Studienabsolventen der US-amerikanischen Bundesregierung über die kommenden Jahre und Jahrzehnte zurückzahlen müssten, und wirft einen Blick auf die Annahmen in Berechnungen, die davon ausgehen, dass von diesen Schulden $435 Mrd. nicht wieder zurückfließen werden, also vom Steuerzahler absorbiert werden müssten. Anlass des Beitrags ist ein vom Wall Street Journal angestellter Vergleich dieser Schätzung mit den $535 Mrd., die 2008 als „Subprime Mortgages“ notleidend geworden waren und nachfolgend zu einer globalen Finanz- und Wirtschaftskrise geführt hatten.
Die im Raum stehende Zahl von $435 Mrd. verkörpere jenseits der Frage, ob sie präzise sei oder auch nur in der Größenordnung zutreffe, zahlreiche Aspekte der Art und Weise, wie die USA für Hochschulbildung bezahle und wie man diesen Bereich in Zukunft möglicherweise reformieren werde. Es heißt: „Count the $435 billion in other ways, though, and it comes to represent many, many different things about the patchwork way this country pays for students to attend colleges and universities – and the debate unfolding about whether that patchwork is going to change substantially in the near future.”
Zum einen sei die Höhe des Betrags ein entsprechend schwerwiegendes Argument im Arsenal der Kritiker einer Hochschullandschaft, der sie vorwerfen, mit dem System von Studiendarlehen ohne entsprechende Rechenschaftslegung und ohne eigene Risiken öffentliche Mittel in Colleges und Universitäten zu pumpen. Auf der anderen sei für die Befürworter des Status Quo der Betrag weitgehend irrelevant, weil Hochschulen wichtige gesellschaftliche Aufgaben wahrnähmen, für soziale Aufstiegschancen und als Investition letztendlich auch für höhere Steuereinnahmen sorgten. Die bloße Zahl ohne Kontext sage schließlich nichts über ein öffentlich finanziertes Darlehenssystem aus, das keinen Gewinn für die öffentliche Hand erwirtschaften müsse. Wie dem auch sei: „The number certainly grabs attention. And it has some potential to influence the long-simmering debate over student loan debt, a debate that after this fall’s election has inched toward President-elect Joe Biden’s plans to cancel $10,000 in student debt per borrower and eliminate tuition for many students at public colleges and historically Black institutions.”
Um die zu erwartende Debatte mit einigen Fakten zu versorgen, führt der Beitrag eine Schätzung des überparteilichen Congressional Budget Office (CBO) aus dem Frühjahr an, der zufolge in den kommenden zehn Jahren etwa $40 Mrd. an Studienschulden für Undergraduates und weitere $167 Mrd. an Studienschulden für Graduates gestundet werden würden, was auch mit Veränderungen in der Struktur der Rückzahlungsmodi zusammenhänge. Seien vor zehn Jahren nur 12% der Darlehen so strukturiert gewesen, dass der Schuldendienst einkommensabhängig funktionierte, wären 2017 bereits 45% der Darlehen mit „income-driven plans“ versehen gewesen, was Vor- aber auch Nachteile hätte: „Those repaying through income-driven plans don’t default on their loans as frequently as others, the CBO found. But the government loses 17 cents for every dollar that goes into an income-driven plan.”
Die Gretchenfrage wäre daher: „Is a loss a problem?“ Man werde sich aber vermutlich dieser Frage nicht direkt zuwenden können, weil sich andere Prioritäten in den Vordergrund drängten oder weil man einen Schuldenerlass, wie er Biden vorschwebt, nicht ohne Debatte über die Finanzierungsmechanismen für die Hochschulen des Landes werde politisch durchsetzen können: „With the COVID-19 pandemic raging and economic turmoil unfolding across the country, it’s yet to be seen how close to the front of the stage higher education policy will land, said Frederick Hess, director of education policy studies at the American Enterprise Institute, a conservative think tank.“

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Covid-19 und Hochschulen
Bei seinem letzten Update vor 14 Tagen meldete der Covid-Ticker der New York Times mehr als 320.000 Infektionen an mehr als 1.700 US-amerikanischen Hochschulen, darunter Clemson University und die University of Florida mit jeweils über 5.000 Fällen. 65 Hochschulen hätten danach über 1.000 Fälle und bei mehr als 540 lägen die Fallzahlen über 100.

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Der Covid-Ticker im Chronicle of Higher Education zitiert ein beim National Bureau of Economic Research (NBER) veröffentlichtes Paper zum nur wenig überraschenden Zusammenhang von höherem Infektionsrisiko bei Kneipenbesuchen durch Studierende gegenüber Restaurantbesuchen und zitiert den Autor mit den Worten. „A (...) centrally located cluster of bars appeared to be a significantly greater vehicle for propagation of the virus than restaurants in a particular university-based outbreak.”

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Die Fallzahlen beim nördlichen Nachbarn der USA halten sich dagegen offenbar in deutlich engeren Grenzen. Eine Meldung auf CBC berichtet von einem Ausbruch der Infektion in einem Studierendenwohnheim der University of Western Ontario, wo drei Studierende positiv getestet worden seien und wo man das Umfeld von 320 möglichen Kontaktpersonen genau im Auge behalte. Es heißt weiterhin: „The university also said it has ‘de-densified’ its nine residence buildings to less than 70 per cent capacity, meaning approximately 3,589 students are housed in on-campus rooms.”

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Market Watch zitiert ein weiteres NBER-Paper, dessen Autoren einen Hang zu übermäßig negativer Berichterstattung zum Thema Covid-19 durch US-amerikanische Medien erkannt haben wollten. Es heißt: „For example, 90% of school-reopening articles from the U.S. mainstream media were negative, versus only 56% for the English-language media in other countries. Stories of increasing COVID-19 cases outnumbered stories about decreasing cases by a factor of 5.5 – even during periods when new cases were declining (...). An interesting finding is the negativity wasn’t correlated with partisanship – Fox News, for example, was as negative in tone as CNN.” Der Erstautor der Studie, Bruce Sacerdote, habe sich auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob das Maß an Negativität in der US-amerikanischen Berichterstattung nicht eine Funktion der Schwere sei, mit der das Land getroffen wurde und der Leichtigkeit, mit der die Regierung in Washington darauf reagiert habe. Dazu heißt es: „Sacerdote found that explanation wanting, pointing out that, with vaccines for example, the developments were the same across the world, and yet the U.S. coverage was far more negative.”

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Obgleich die Fallzahlen in Kanada deutlich niedriger sind als in den USA, trifft die Pandemie die Studierenden des Landes ökonomisch dennoch schwer und Studierendenverbände fordern die kanadische Bundesregierung zu entsprechenden Hilfeleistungen auf. Die Canadian Federation of Students und die Organisation „Don’t Forget Students” haben einer Meldung auf Newswire zufolge eine Parlamentspetition mit dem Ziel eingereicht, Mittel aus dem Canada Student Service Grant (CSSG) in Mittel für das Programm Canada Emergency Student Benefit (CESB) umzuwidmen und dieses Programm auch internationalen Studierenden zugänglich zu machen. Weiterhin werde gefordert, das derzeitige Moratorium auf Zinsen und Tilgung für Studiendarlehen erst einmal bis zum 1. Mai 2021 zu verlängern und in Abhängigkeit von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auch eine weitere Verlängerung ins Auge zu fassen.

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Ein Beitrag der New York Times befasst sich mit den Auswirkungen der Pandemie auf die Bewerbungsverfahren für Studienplätze in den USA. Es heißt: „As a new season for college applications begins, the coronavirus has upended the process, forcing millions of students to learn remotely, canceling college tours and standardized testing dates, and preventing legions of students from participating in sports and other extracurricular activities. High school seniors and those who guide them through the admissions process say the level of uncertainty and disruption is off the charts as the virus surges across the country, forcing many schools to shut down classrooms once again, putting more families in financial crisis and making weighty decisions about the future more fraught than ever. ”

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Ein Beitrag wirft im Chronicle of Higher Education schließlich einen Blick auf die in diesem Jahr deutlich unterdurchschnittliche Zahl von Hochschulpräsidentinnen und –präsidenten, die sich in den Ruhestand verabschieden ließen und zitiert einen Professor für Hochschuladministration zu möglichen Gründen mit den Worten: „Presidents present themselves as people who can get things done. They get a high salary because they have what it takes to lead the campus through hard times into a better future. Quitting now kind of undermines that president-as-leader narrative.”

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Sein und Schein
Ein Beitrag auf YouAlberta, dem „offiziellen” Studierenden-Blog der University of Alberta (U of A) in Edmonton, befasst sich mit dem sog. „Imposter Syndrome”, dem laut einer U of A-Psychologin von etwa 70% der Studierenden mehr oder weniger geteilten Gefühl, an einer Hochschule eigentlich nichts verloren zu haben. Die Autorin des Beitrags bekennt sich, zu den 70% zu gehören und meint, dass Covid-19 die Situation der Betroffenen noch verschlimmert habe. Sie schreibt: „I think imposter syndrome has become even more prominent during this COVID pandemic as we are more isolated from our peers and our support groups, and no one really knows how everyone else is doing or managing their hectic schedules.”
Doch gäbe es auch Tricks und Techniken zu einem produktiven Umgang mit dem Syndrom, wobei Einsicht und die Frage um Hilfe schon einmal die ersten Schritte zur Besserung seien, die Vermeidung des Vergleichs mit anderen Studierenden oder gar des Widmens von Aufmerksamkeit an erfolgreiche Mitstudierende auf sozialen Medien ein wichtiges Element der Genesung und schließlich eine kontinuierliche Auflistung der eigenen Erfolge und Leistungsnachweise den Punkt markiere, an dem man sich dann doch als vollwertiges Mitglied einer akademisch anspruchsvollen Gemeinschaft fühlen könne.

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Es gibt freilich auch Menschen, denen es beim Hochschulbesuch weniger um die Mitgliedschaft in einer akademisch anspruchsvollen Gemeinschaft und um die Befriedigung intellektueller Neugier geht und die stattdessen in „Universität“ einen notwendigen und mitunter auch lästigen Schritt auf dem Weg zu sozialem Erfolg sehen. Vermutlich gehören zu letztgenannten Gruppe die mehr als 100 Studierenden der University of British Columbia (UBC), die laut einer Meldung auf CBC zufolge jetzt beschuldigt würden, bei der Leistungsüberprüfung eines Einführungskurses in Mathematik geschummelt zu haben. Es heißt: „UBC has launched an investigation after more than 100 entry-level math students were accused of cheating on their midterm exam several days ago. The investigation became public after an ominous note from the students’ professor was posted online late Monday. It was also circulated to students directly.” Im Post des Professors heißt es darüber hinaus: „I am extremely disappointed to tell you that there were over 100 cases of cheating. If confirmed, the students involved will receive a 0% for the course (not just the midterm) and I will recommend their expulsion from UBC.”
Wie die allermeisten Universitäten auch habe UBC den Unterricht und die Leistungsnachweise in diesem Jahr online durchgeführt und man verlasse sich auf ebenfalls virtuelle Werkzeuge wie „Proctorio“, um sicherzustellen, dass Studierende nicht gegen ihre eigenen Ehrenerklärungen verstoßen. 

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Es überrascht nicht wirklich, dass es online wenigstens genauso viele Tutorials zur Vermeidung des „von-Proctorio-überführt-werdens“ gibt wie Tutorials für Lehrende zur sicheren Anwendung des Werkzeugs.
Kurznachrichten
Bei Stellenbewerbungen an Hochschulen in den USA wird mittlerweile ein Passus erwartet, der darstellt, wie die Bewerberin bzw. der Bewerber dazu beitragen möchte, Rassismus und Verweigerung gesellschaftlicher Teilhabe abzubauen. Ein Beitrag im Chronicle of Higher Education macht auf fünf häufig gemachte Fehler bei einem solchen „statement on diversity, equity, and inclusion“ (DEI Statement) aufmerksam und listet den theoretischen Ansatz, den Betroffenheitsansatz, die bloße Bekundung, dass es ein Problem gibt, das Heilsversprechen und das tagebuchartige Auflisten von Ereignissen, bei denen man selber Opfer oder auch Täter von Exklusion geworden sei. Es heißt: „Each of those five types puts off the search committee for different reasons. And each of them fails to meet the goals of a DEI statement: to demonstrate how you can contribute to the eradication of white supremacy.”

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Ein Beitrag auf Campus Technology zitiert ein weiteres NBER-Paper zu den vier höchsten Hürden auf dem Weg zu einem Studienabschluss, nämlich schlechte Vorbereitung, institutionelle Barrieren, persönliche Erschwernisumstände und direkte und indirekte Kosten eines Hochschulbesuchs. Der Beitrag listet darüber hinaus aber auch die verschiedenen Programme, die beim Überwinden der Hürden helfen sollen, Programme wie „Accelerated Study in Associate Programs (ASAP)“, „One Million Degrees“, „Opening Doors“, „Project QUEST“ und „Stay the Course“ für Studierende an Community Colleges und die beiden Entsprechungen für Studierende an vierjährigen Hochschulen „Student Achievement and Retention Project (Project STAR)“ und „Monitoring Advising Analytics to Promote Success (MAAPs)“.

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Das zur University of Western Ontario gehörende King’s University College kann sich über eine Spende freuen, deren Betrag (Can$1 Mio.) weniger Berichtens wert ist als vielmehr die Spenderin, „Elizabeth Russell [who] made a big impact on library services at King’s during her 23-year career as a Librarian back in the 1970s, 80s and 90s.“

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